AleaThoron
   
  FairyCat's Potions and Passions
  Kapitel 03 — Ein wenig Lektüre im verborgenen Raum
 
DISCLAIMER: Ich verdiene kein Geld damit, habe jedoch genau den unglaublichen Spaß, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Alle agierenden Personen gehören JKR. Ich habe sie mir heimlich ausgeborgt, verspreche aber, gut auf sie aufzupassen und sie wohlbehalten und an Erfahrungen reicher und gereifter wieder zurückzugeben.
 
Beta: Deep Water — Mein ganz spezieller Dank gilt meinem Beta, der eigentlich mein Vater ist, und der mich mit »Und wann schreibst Du endlich Deine eigene Geschichte?« erst dazu gebracht hat, diese Story Wirklichkeit werden zu lassen.
 
 
Coniunctio perpetua by Alea Thoron
 
 
Kapitel 03 — Ein wenig Lektüre im verborgenen Raum
 
Tief in Gedanken versunken hatte Hermione den Krankenflügel verlassen. Sie rechnete fest damit, dass sie auf Harry bei ihrem zweifelsohne unausweichlich folgenden Kampf gegen das Ministerium und die Öffentlichkeit würde zählen können. Nach den von ihr hautnah miterlebten Ereignissen der letzten Stunden war sie zu der festen Überzeugung gelangt, dass Harry in der Letzten Schlacht beeindruckend bewiesen hatte, dass dieses eine Jahr auf der Flucht ihn und seine Besonnenheit, wenn es um Entscheidungen ging, hatte reifen lassen. Seine beeindruckend verantwortungsvolle und überlegte Handlungsweise hatte ihre letzten, damals noch verbliebenen Zweifel an ihm ein für alle Mal ausgeräumt.
 
Ron dagegen … nun, Ron war ein weiteres und im Moment undurchsichtiges Problem auf ihrer Liste.
 
Nach seinem zweiflerischen, geradezu ungläubigen Gesichtsausdruck zu urteilen, als Harry voller Genugtuung Voldemort klar machte, wem Professor Snapes wirkliche Loyalität über all die Jahre gegolten hatte, stellte Hermione ernsthaft in Frage, dass Ron seine Meinung über ihren ehemaligen Lehrer geändert haben könnte. Sie würde mit ihm höchstwahrscheinlich nicht rechnen können, wenn es darum ging, Severus Snape von allen gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu entlasten. Doch etwas Anderes machte ihr im Moment noch viel mehr zu schaffen.
 
Nach der Schlacht waren sich Ron und sie selbst noch einmal im Taumel des Sieges in die Arme gesunken und hatten einander geküsst, als ob der Weltuntergang kurz bevor stehen würde. Hermione hatte eine Nähe verspürt, die sie so mit ihm bisher noch nicht erlebt hatte. Doch diese Empfindungen hatten sich innerhalb von Minuten schlagartig beinahe ins Gegenteil verkehrt, als Ron die Nachricht vom Tod seines Bruders Fred erhielt. Er hatte sich von ihr abgewendet — nicht nur, dass er ihr physisch den Rücken zukehrte, nein, sondern sich ganz besonders in emotionaler Hinsicht ihr gegenüber distanziert, als er den Satz >Das ist eine reine Angelegenheit der Familie.< murmelte und sie schlicht und einfach stehenließ, ohne auch nur auf den Gedanken zu kommen, dass er ihr soeben bildlich gesehen einen Schlag ins Gesicht versetzt hatte. Hermione fühlte sich überflüssig, weggestoßen, ausgeschlossen, nicht dazugehörig. Dabei hatte sie all die Jahre geglaubt, zu einem Teil der Familie Weasley geworden zu sein, wozu sie insbesondere ihr inzwischen mehr als herzliches Verhältnis zu Molly Weasley ermutigt hatte, die sie nach deren Fauxpas während des Trimagischen Turniers wieder wie eine Tochter in den Schoß der Familie aufgenommen hatte. Der stechende Schmerz in ihrer Brust war nur vergleichbar gewesen mit demjenigen, den sie verspürt hatte, als Ron sie und Harry damals in dem Wald, wo einst die Quidditch-Weltmeisterschaft stattgefunden hatte, einfach so hatte sitzen lassen.
 
Innerhalb weniger Sekunden war sie von seinen Worten und seinem Verhalten desillusioniert worden. Tränen der Enttäuschung traten erneut in ihre Augen und ließen ihre Sicht verschwimmen. Sie stolperte über einen am Boden liegenden Brocken Mauerwerk und wurde auf diese Weise abrupt in die Gegenwart zurückgeholt. Erst jetzt registrierte sie, wohin ihre Füße sie ohne ihr bewusstes Zutun getragen hatten.
 
Flashback
 
In ihrem ersten Jahr in Hogwarts waren sie im dritten Stock am schlafenden Fluffy vorbei durch eine Falltür in einen Raum mit fliegenden Schlüsseln gekommen. Die Mitte dieses Raumes bildete eine mächtige Säule, die schon damals unwillkürlich Hermiones Interesse geweckt hatte. Die Säule hatte keine erkennbaren Vertiefungen oder Anzeichen von Bearbeitung gezeigt, allerdings begann in halber Höhe eine Wendeltreppe ins Nichts, die unter der Decke endete. Hermione hatte damals nur einen flüchtigen Eindruck bekommen, und doch hatte diese seltsame Wendeltreppe in ihren Gedanken nie an Anziehungskraft verloren, obwohl sie sich nicht erklären konnte, warum.
 
Wie mächtig diese Anziehungskraft über viele Jahre gewesen war, zeigte sich daran, dass Hermione kurz vor Weihnachten in ihrem sechsten Schuljahr ohne Harry und Ron hierher zurückgekehrt war. An und für sich war sie nicht jemand, der Spaß daran hatte, allein auf Erkundungstour zu gehen oder gar gegen irgendwelche Schulregeln zu verstoßen. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl gehabt, dass es nicht richtig sein würde, die beiden dorthin mitzunehmen. Sie war dann einfach ihrem Instinkt gefolgt.
 
Es war das letzte Hogsmeade-Wochenende vor den Ferien, aber sie hatte absolut keine Lust verspürt, sich zusammen mit ihren beiden Freunden in dieses anstrengende Getümmel zu stürzen. Stattdessen war sie in die Bibliothek gegangen, um noch ein paar Recherchen über Harrys Zaubertränke-Lehrbuch und diesen mysteriösen Halbblut-Prinzen anzustellen — unter anderem. Es hatte nach ihrer eigenen Einschätzung nicht allzu viel gebracht, obwohl sie in einem alten Jahrgangsbuch der Abschlussklassen über den Namen Prince — Eileen Prince — gestolpert war, die damals Kapitän der Koboldstein-Mannschaft gewesen war. Nun, eine Spur, nicht mehr, nicht weniger. Sie würde dem weiter nachgehen, auch wenn diese ‘Spur’ vielleicht im Sande verlief und sie sich auch nicht allzu viel davon versprach.
 
Doch als sie sich zurücklehnte und mit dem Handrücken über ihre Augen wischte, kam ihr plötzlich und ohne erkennbaren Grund erneut dieser Raum mit der Treppe ins Nichts in den Sinn; sie räumte kurz entschlossen ihre Sachen zusammen, brachte die Bücher, die sie sich ausgeliehen hatte und die nun auf dem ganzen Tisch verstreut herumlagen, wieder dorthin zurück, wo sie hingehörten, nahm ihre Tasche und machte sich entschlossen auf den Weg. Dies war eine Gelegenheit, die sie so schnell nicht wieder bekommen würde.
 
Da sie nicht davon ausgehen konnte, dass sich die Teufelsschlinge noch immer unter der Falltür befinden würde, hatte sie magisch eine Leiter erschaffen, auf der sie gefahrlos nach unten klettern konnte. Als sie endlich den Raum erreicht hatte, in dem sich damals die Schlüssel und Besen befunden hatten, lag dieser absolut still vor ihr. Es gab keine fliegenden Schlüssel mehr, genauso wenig schwebten wie damals Besen in der Luft, was ihr die Sache nicht gerade erleichtern würde. Allerdings — sie hatte sowieso nie eine sonderliche Affinität zu Besen gehabt — um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken.
 
Erneut wurde ihr Blick von der an die Säule wie angeklebt wirkenden Treppe magisch angezogen. Es fiel ihr unendlich schwer, sich von diesem Anblick loszureißen. Hermione umrundete bedächtig die Säule, um sich zu vergewissern, dass es nicht doch irgendwo eine Tür gab, die Zugang zu der Wendeltreppe gewährte. Sie fand nichts. Ganz langsam begann sie eine zweite Runde um die Säule, strich dabei mit ihrer Hand beinahe liebevoll über den kalten Stein, während ihre Augen von oben nach unten jeden Quadratzentimeter der Säule absuchten. Auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg.
 
Schwierige Aufgaben hatten Hermione jedoch noch nie abgeschreckt, ganz im Gegenteil, ihrer Meinung nach waren sie dafür da, um gelöst zu werden. Sie zog ihren Zauberstab aus dem Ärmel und warf ein kaum hörbares »Specialis revelio!« auf die Säule. Im selben Moment entdeckte sie aus dem Augenwinkel heraus links ein bläulich schimmerndes Quadrat. Mit zwei Schritten hatte sie die Distanz überbrückt und berührte dann sofort mit ihrem Zauberstab versuchsweise das Quadrat.
 
Im nächsten Moment wusste sie, dass sie damit richtig gelegen hatte. Die silbrigen Umrisse eines Türrahmens wurden sichtbar und eine Türklinke erschien. Hermione öffnete die Tür und spähte hinein. Wie sie insgeheim gehofft hatte, befand sich hinter der Tür der untere Teil der Wendeltreppe, die nach oben führte. Sie fasste sich ein Herz, schlüpfte durch die Tür und begann, die Wendeltreppe hinaufzusteigen. Als sie sich noch einmal umdrehte, bemerkte sie, wie die Tür wieder mit dem Stein verschmolz, so dass nicht mehr zu erkennen war, dass dort vor ein paar Augenblicken noch ein Zugang gewesen war. Nun, um dieses Problem würde sie sich später kümmern. Erst einmal gewann ihre Neugier die Oberhand.
 
Die Wendeltreppe schien kein Ende zu nehmen. Sie stieg immer weiter hinauf, bis sie eine weitere Tür erreichte. Nachdem sie die Klinke heruntergedrückt und einen Schritt nach vorn gemacht hatte, fand sie sich in einem kleinen halbrunden Raum wieder, der ein einziges riesiges Panoramafenster hatte, das an der halben Wand entlanglief und in etwa dreißig Zentimeter Höhe über dem Boden begann. Der breite Fenstersims aus unbehauenem Stein befand sich in etwa auf Kniehöhe, so dass man sich bequem auf ihn setzen konnte. >Ich muss mich in einem der kleinen Türme befinden<, dachte Hermione.
 
Zielstrebig lief sie als erstes zum Fenster hinüber und schaute hinaus. Ihr Blick landete auf Hagrids Hütte und dem dahinterliegenden Verbotenen Wald. In der Nähe des Waldrandes, auf einem schmalen Streifen Wiese davor, konnte sie eine sich bewegende, ziemlich große Gestalt ausmachen. Das konnte nur Hagrid sein, der seinen täglichen Kontrollgang über die Ländereien von Hogwarts unternahm. Um ihn herum rannte aufgedreht etwas Vierbeiniges, wahrscheinlich Fang, der sich sichtlich seines Daseins erfreute.
 
Dann drehte Hermione sich herum und ließ ihren Blick neugierig durch das halbrunde Turmzimmer schweifen. Der Raum war nicht gerade sauber zu nennen — die Staubschicht auf dem Boden schien bereits über viele Jahre gewachsen zu sein — allerdings war er wenigstens spärlich möbliert. Ein großer Tisch mit einer Couch und zwei großen Sesseln, die zwar äußerst bequem aussahen, auf denen jedoch ebenfalls eine dicke Staubschicht lag, waren so angeordnet worden, dass man die Aussicht genießen und gleichzeitig lesen konnte. Hier schien schon viele Jahre niemand gewesen zu sein, da Hermione ihre eigenen Spuren im Staub auf dem Boden bis zur Tür nachverfolgen konnte. Die Hauselfen schienen unbenutzten Räumen im Hinblick auf Sauberkeit keine sonderliche Aufmerksamkeit zu schenken — falls sie diesen verborgenen Raum überhaupt kannten.
 
Einen Moment verspürte sie einen Stich in ihrem Herzen, als sie daran dachte, wie bedauerlich es war, dass sie das Geheimnis der Treppe erst jetzt gelüftet hatte. Dies wäre der ideale Platz gewesen, um in Ruhe zu lesen oder zu lernen, wenn im Gemeinschaftsraum der Gryffindors wieder einmal der Bär tobte.
 
Hermione murmelte einen leisen »Scourgify!«,um wenigstens erst einmal den Staub verschwinden zu lassen, und ließ sich dann in einen der bequemen Sessel plumpsen. Irritiert runzelte sie die Stirn, als ihr Fuß unerwartet gegen irgendetwas stieß, das ein leises metallenes Kratzen von sich gab, als es über den steinernen Boden rutschte. Sie runzelte überrascht die Stirn, glitt aus dem Sessel, kniete sich hin und spähte neugierig darunter. Neben einigen Staubmäusen, die ihr eindrucksvoll bewiesen, dass ihre hausfraulich-magischen Fähigkeiten doch nicht ganz so gut ausgeprägt waren, wie sie bisher immer gehofft hatte, entdeckte sie einen goldenen Ring an einer langen goldenen Kette, deren Glieder an einer Stelle zerrissen waren. Sie streckte die Hand danach aus, um sie im letzten Augenblick blitzartig zurückzuziehen. Dies war Hogwarts — alles hier war magisch und nichts davon auch nur halbwegs ungefährlich. Was, wenn dieser Ring in irgendeiner Art und Weise verflucht war?
 
Sie schob den Sessel, der zum Glück nicht allzu schwer war, so weit nach hinten, dass der Ring nun direkt vor ihr lag und richtete ihren Zauberstab darauf. »Specialis revelio!« Es war der einzige Zauberspruch, der ihr einfiel, obwohl sie sich überhaupt nicht sicher war, ob er auch eventuell verborgene Dunkle Magie aufzeigen würde. Sie konnte es nur hoffen. Doch der Zauber bewirkte keinerlei Effekt auf den Ring. Erneut streckte sie die Hand aus. Dieses Mal griff sie vorsichtig nach ihm, hob ihn auf und umschloss ihn behutsam mit ihren Fingern.
 
Keine der schlimmen Möglichkeiten, die sie sich gerade noch in ihrer Phantasie ausgemalt hatte, wurde Realität. Hermione konnte weder das vertraute Prickeln von Magie in ihren Fingern spüren, noch nahm sie irgendeine Veränderung an ihrem Körper oder dem Ring wahr. Sie ließ den Atem zischend entweichen, von dem sie nicht einmal gemerkt hatte, dass sie ihn bis jetzt voller Anspannung angehalten hatte.
 
Doch dann fühlte sie plötzlich, wie eine unglaubliche Ruhe sie durchströmte. Sie empfand eine merkwürdige Sicherheit und Geborgenheit — fühlte sich regelrecht beschützt. Dafür gab es keine plausible Erklärung. Sorgsam und nur sehr widerstrebend legte sie den Ring auf dem Tisch ab und das Gefühl verschwand sofort. >Das kann nicht sein!<, dachte sie ungläubig. Doch sobald sie erneut die Hand um ihn schloss, kehrte das Empfinden von Geborgenheit und Sicherheit zurück … Es war eindeutig — diese Emotionen waren an die Berührung mit dem Ring gekoppelt. Er besaß anscheinend eine Macht, die sie nicht erklären konnte.
 
Langsam öffnete sie ihre Faust, um den Ring eingehender zu untersuchen, der nun auf ihrer Handfläche lag. Plötzlich und völlig unerwartet für sie blitzte dieser ungewöhnlich hell auf, so dass sie zusammenzuckte und ihn vor Schreck beinahe fallen ließ. Doch als weiter nichts geschah, drehte sie sich zum Fenster und betrachtete den Ring genauer.
 
Dieses Schmuckstück war ganz und gar nicht so schlicht, wie sie zuerst geglaubt hatte. Zwei filigran herausgearbeitete goldene Schlangen, auf deren Körpern man sogar die einzelnen Schuppen erkennen konnte, wanden sich wie im Liebesspiel umeinander und umschlossen dabei einen ovalen, wunderschön geschliffenen Smaragd, der Hermione an die Farben des Hauses Slytherin erinnerte. Auch die Augen der Schlangen bestanden aus winzigen Smaragden, die im Licht der Sonne aufblitzten und den beiden in der Bewegung erstarrten Tieren beinahe Leben einhauchten.
 
Oh… Hermione wusste, dass Smaragde nichts weiter als eine kristallisierte Abart des Silikat-Minerals Beryll waren, aber sie konnte sich der Schönheit dieser Steine und der Einzigartigkeit dieses Ringes nicht entziehen. Sie konnte sich nicht zurückhalten, den Ring immer wieder in ihren Fingern hin und her zu drehen, um wie gebannt das Spiel des Sonnenlichts mit den Edelsteinen zu beobachten. Ein Lächeln hatte sich auf ihre Lippen gestohlen und für eine Weile verlor sie sich regelrecht in diesem Anblick, ehe sie über sich selbst den Kopf schüttelte und mit einem langen letzten Blick auf die Schlangen, die sie wohlgesinnt anzufunkeln schienen, Ring und Kette in der Innentasche ihrer Robe verschwinden ließ, wenn auch nur sehr widerstrebend.
 
Ihr war bewusst, dass sie dieses wundervolle Schmuckstück nicht behalten durfte. So schwer es ihr aus welchem Grund auch immer zu fallen schien, sich von ihm zu trennen, sie würde ihn morgen — oder vielleicht auch erst übermorgen — Professor McGonagall geben müssen, die sicherlich die Möglichkeit hatte, herauszufinden, wer der rechtmäßige Eigentümer des offensichtlich magisch beeinflussten Schmuckstücks war. Hermione schluckte schwer. >Er gehört dir nicht … du hast kein Recht auf ihn! Er gehört dir nicht …<, betete sie immer wieder eine Litanei vor sich hin, als sie sich wieder in den Sessel sinken ließ.
 
Doch noch etwas hatte dieser Fund in ihr ausgelöst. Dieser Ring war der Beweis dafür, dass sie nicht die erste war, die diesen Raum für sich entdeckt hatte. Tief in ihrem Inneren hatte sie das Gefühl beschlichen, ein Eindringling in das Refugium eines Anderen zu sein. Trotzdem lehnte sie sich nun zurück und gestattete sowohl ihren Augen als auch ihren Gedanken zu wandern.
 
Sie hatte Angst. So sehr sie auch in den letzten Wochen versucht hatte, sich selbst zu belügen — tief in ihr verborgen war einfach nur nackte Angst. Hier, in der Abgeschiedenheit dieses kleinen Turmzimmers war sie endlich dazu bereit, diese unbestreitbare Tatsache vor sich selbst zuzugeben. Sie seufzte, als sie erkannte, welch eine enorme Erleichterung es war, wenigstens sich selbst nicht mehr belügen zu müssen.
 
Hermione lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne des Sessels und schloss die Augen. Wann und warum waren die ganzen Ereignisse derartig aus dem Ruder gelaufen? Es war alles so ungemein kompliziert geworden. Schon lange hatte sie begonnen, sich Sorgen zu machen, Sorgen um ihrer aller Zukunft. Immer öfter fragte sie sich, was auf sie alle zukommen würde. Wie sollte es weiter gehen? Da war dieses unbestimmte Gefühl, dass in nächster Zeit irgendetwas Furchtbares geschehen würde. Diese scheinbar durch nichts begründete Angst, die sich unerbittlich in ihr festgesetzt hatte. Sie wusste ganz genau, dass sie keinerlei Talent für Prophezeien hatte, aber diese ‘Ahnung’ hatte sich auch nach Wochen nicht verflüchtigt, ganz egal, wie sehr sie versucht hatte, sich abzulenken.
 
Ihr war vollkommen klar, dass viele ihrer Klassenkameraden und auch ihrer Lehrer sie auslachen würden, dass ganz besonders ihre Mitschüler sich hinter vorgehaltener Hand das Maul zerreißen würden, wenn sie auch nur eine leise Ahnung davon hätten, aber sie nannte es ihr ‘Bauchgefühl’ und wusste, dass sie sich darauf immer hatte verlassen können. Sie war nicht nur die kleine Miss-know-it-all, die Auswendiggelerntes aus Büchern zitieren konnte, ständig im Unterricht mit der Hand in der Luft herumwedelte und mit ihrem Wissen um sich warf. Bei all ihrer Intelligenz und ihrem Wissensdurst gab es auch eine andere Hermione Jane Granger, die niemand kannte, war da auch immer noch irgendetwas anderes gewesen, etwas, das bisher wohl niemand wirklich bemerkt hatte oder auch vielleicht nur bemerken wollte.
 
Unbewusst griff sie nach dem Ring in der Innentasche ihrer Robe und schloss fest die Hand darum. Doch auch das sie sofort durchströmende Gefühl von Sicherheit konnte nicht verhindern, dass ihr einmal mehr Dumbledores geschwärzte Hand in den Sinn kam. Sie glaubte sogar, gesehen zu haben, dass sich die Schwärzung inzwischen auch weiter nach oben über sein Handgelenk ausgebreitet hatte. Der Schulleiter sah ihrer Meinung nach mit jedem weiteren Tag angegriffener aus und es schien, dass ihm die Verletzung auch immer mehr zu schaffen machte.
 
Es musste sich dabei um eine äußerst schwerwiegende magische Verletzung handeln, auch wenn Dumbledore sie beständig mit einem Lächeln herunterzuspielen versuchte. Doch Hermione hatte manchmal zu den Essenszeiten die besorgten Blicke von Madame Pomfrey am Lehrertisch aufgefangen, ein Umstand, der sie nur noch mehr beunruhigte und in ihren Überlegungen bestärkte. Sie vermutete stark, dass Dunkle Magie in irgendeiner Form für die Schädigung seiner Hand verantwortlich war, auch wenn sie nicht wusste, wo und wie er mit dieser in Berührung gekommen sein konnte. Und nach Madame Pomfreys Verhalten zu urteilen, war diese offensichtlich nur bedingt in der Lage seinen Verfall zu verzögern, von einer Heilung ganz zu schweigen.
 
Außerdem war Harry in den letzten Wochen immer öfter zu Dumbledore gerufen worden, damit ihm dieser kleine Bröckchen an Informationen zukommen lassen konnte. »Hmpf!«, schnaubte Hermione bei dieser Überlegung ärgerlich, ohne dass es ihr wirklich bewusst war. Ja, es waren nur kleine Bröckchen, niemals die vollständige Geschichte, wie Hermione missmutig zugeben musste. Winzige Puzzleteilchen, die selbst sie bisher nicht zu einem sinnvollen Ganzen hatte zusammensetzen können. Diese Hinhaltetaktik des Schulleiters — anders konnte sie es einfach nicht bezeichnen — war etwas, worüber Hermione sich einfach nur zu wundern begonnen hatte, was sie absolut nicht nachvollziehen konnte. Und das Dumbledore nach wie vor praktizierte, obwohl ihm doch immer mehr die Zeit davonzulaufen schien ...
 
Hermione stockte erschrocken. ‘... die Zeit davonzulaufen schien ...’ Wie kam sie auf einmal auf solch einen Gedanken ... Es konnte nicht sein, dass Dumbledore starb ... Durfte nicht sein ... Sie brauchten ihn doch ... Was sollte mit Harry werden ... Ungewollt lief ihr bei diesem Gedankengang ein Schauer über den Rücken und das Gefühl, fehl am Platz zu sein, wurde plötzlich übermächtig. Sie sprang auf, lief zur Tür und rannte die Stufen hinunter, als sei sie auf der Flucht vor Du-weißt-schon-wem höchstpersönlich. Auf dem Podest vor der massiven Wand der Säule angekommen, holte sie erst einmal tief Luft, um sich wenigstens etwas zu beruhigen. Ihren Zauberstab aus dem Versteck im Ärmel ziehend, warf sie »Specialis revelio!« Das blaue Quadrat erschien und nachdem sie es mit der Spitze ihres Zauberstabes angetippt hatte, wurde die Tür mit der Klinke sichtbar. Erleichtert schlüpfte Hermione hinaus und beobachtete, wie die Tür wieder mit der Wand verschmolz.
 
Flashback Ende
 
Sie hatte den Raum seitdem nie wieder betreten. Jetzt jedoch fand sie sich zu ihrer eigenen Überraschung direkt vor der Tür zu dem Raum mit der Falltür wieder, die der dreiköpfige Fluffy damals bewacht hatte.
 
Verunsichert tastete sie nach dem Etwas, das unter ihre Kleidung verborgen an einer langen goldenen Kette um ihren Hals hing und in dem Tal zwischen ihren Brüsten auf der nackten Haut baumelte. Sie konnte spüren, dass sie errötete, da ihre Wangen plötzlich sehr warm wurden. Es war Schamesröte, wie sie ganz genau wusste, und sie verspürte noch heute die gleichen Gewissensbisse wie damals. Das Buch aus der Bibliothek der Blacks zu nehmen, ohne Harrys Erlaubnis einzuholen, war etwas völlig anderes gewesen, als etwas zu behalten, das man durch Zufall gefunden hatte. Hermione presste die Hand an diese Stelle ihres Körpers und atmete tief durch, als sie die positiven Gefühle empfing, an die sie sich schon so lange gewöhnt hatte.
 
Entgegen ihrer gewohnten Prinzipientreue hatte sie vor zwei Jahren eine Entscheidung getroffen, die sie sich bis heute selbst kaum rational erklären konnte und ehrlich gesagt auch nicht erklären wollte. Sie hatte damals mehrfach dazu Anlauf genommen, Professor McGonagall den Ring zu übergeben, damit dieser seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden konnte, doch jedes Mal, wenn sie vor ihrer Hauslehrerin stand, war sie nicht in der Lage, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Irgendeine verborgene Kraft hinderte sie mit aller Macht daran, auch nur seine Existenz zu erwähnen. Nicht einmal Harry oder Ron gegenüber hatte sie es geschafft, von ihm zu erzählen, geschweige denn, ihn den Jungs zu zeigen. Bald schon hatte sie den Ring selbst in Verdacht gehabt, dafür verantwortlich zu sein.
 
Schließlich hatte sie sich dem geheimnisvollen Einfluss gefügt und den Ring behalten. Sie hatte die Kette mit einem einfachen Reparo repariert und trug seitdem den Ring an der Kette um den Hals und zwar so, dass er ihre nackte Haut berührte. Schon sehr bald hatte sie festgestellt, dass der Ring auf diese Art und Weise wirklich Emotionen positiv beeinflusste: Geborgenheit, Sicherheit und das Gefühl von familiärer Verbundenheit. Obwohl sie gerade das Letztere nicht verstehen konnte. Der Ring stammte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Besitz eines nicht unbemittelten einflussreichen Slytherins, so dass es nahezu ausgeschlossen war, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gab.
 
Aber er oder sie musste das verborgene Turmzimmer gekannt haben. Trotzdem bezweifelte Hermione ernsthaft, dass der wirkliche Eigentümer jemals dort nach dem Ring gesucht hatte. Nach der Dicke der damaligen Staubschicht zu urteilen, musste er viele Jahre dort unter dem Sessel verborgen gelegen haben, ehe sie ihn gefunden hatte. Und doch plagten sie ab und an Gewissensbisse, weil sie den Schmuck behalten hatte. Sie seufzte.
 
Nun, in dem kleinen Turmzimmer würde sie auf jeden Fall ungestört sein. Sie hoffte inständig, dass die überall sichtbaren Zerstörungen durch die Schlacht wenigstens diesen Ort verschont hatten. Es würde der ideale Platz sein, um noch einmal nachzuschlagen … und sie würde sicherlich dort ein paar Stunden schlafen können, falls sie dies wollte.
 
Mit einem Schulterzucken und nach einem gemurmelten »Alohomora!« betrat sie mit einem seltsamen Gefühl nach fast zwei Jahren erstmals wieder Fluffys Raum und schaute sich um. »Oh...«, entfuhr ihr erstaunt, als sie bemerkte, dass sich sogar die Harfe noch an dem Platz befand, an dem Professor Quirrell sie damals zurückgelassen hatte. Mit einem letzten Blick auf das Musikinstrument öffnete sie die Falltür, erschuf eine Leiter und machte sich zielstrebig auf den Weg.
 
War es wirklich erst zwei Jahre her, dass sie diesen Raum gefunden hatte? Erneut stand sie an der Säule, die den Eingang zu dem kleinen Turmzimmer verbarg. Sie zog ihren Zauberstab, warf nonverbal >Specialis Revelio!<, stieg die Treppe hinauf und öffnete die Tür. Ein einziger Blick genügte, um zu erkennen, dass sich der Raum seit ihrem letzten Besuch zumindest in einem Punkt wesentlich verändert hatte. Die Möbel standen zwar noch immer am selben Platz, doch irgendjemand hatte dafür gesorgt, dass das riesige Panoramafenster, das zum Glück die Zerstörung vieler anderer Gebäudeteile durch Riesenhände unbeschadet überstanden hatte, jetzt spiegelte und der Boden wie frisch gewischt glänzte. Irgendwie war Hermione davon doch ein bisschen überrascht.
 
Ein wenig zögerlich ging sie hinüber, setzte sich in einen der Sessel und schaute gedankenverloren hinaus auf die Ländereien und den Verbotenen Wald. Noch vor kurzer Zeit hätte sie diesen Ausblick genossen, doch heute jagte ihr der Anblick der über so viele Jahre vertrauten Umgebung einen Schauer über den Rücken. Schon lange hatte sie nicht mehr die Ruhe finden können, eine Weile ihren eigenen Gedanken nachhängen zu dürfen, ohne ständig auf der Hut sein zu müssen — von innerer Ruhe ganz zu schweigen — und so genoss sie es, still für sich allein hier zu sitzen, obwohl der heutige Ausblick sich erheblich von dem unterschied, was sie damals gesehen hatte. So vieles war in den letzten Stunden hier geschehen, so viel Schreckliches, aber auch so viel Ergreifendes.
 
Die Sonne hatte es bisher noch nicht geschafft, die wabernden Nebelschwaden über den Ländereien von Hogwarts vollständig aufzulösen. Ein merkwürdiger Dunstschleier war geblieben, eine schwache Diesigkeit, die nichts mit normalem Nebel zu tun hatte, sondern eher die Auswirkung der vielen mächtigen Zaubersprüche war, die von beiden Krieg führenden Seiten aus durch die Luft geflogen waren. Zu viel Magie auf zu engem Raum.
 
Hermione riss ihren Blick los, zog umständlich ihre kleine mit Perlen besetzte Handtasche aus der Innentasche ihrer Robe und legte sie widerstrebend auf den Tisch, ohne sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Es rumpelte verdächtig. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und starrte nachdenklich auf die Perlen, die in der Sonne glitzerten. Ihre Hand fühlte sich plötzlich bleischwer an; es schien, als ob sich selbst ihre Seele weigerte, den nächsten Schritt zu tun. Für einen Augenblick schien ihren Körper jegliche Kraft verlassen zu haben, die es ihr gestatten würde, die Hand zu heben, um die Tasche zu öffnen. Es dauerte eine geraume Weile ehe sie begriff, wie unsinnig sie sich eigentlich verhielt. >Wie kann man so feige sein! Wo ist dein sprichwörtlicher Gryffindor-Mut geblieben? Du hast ihn doch bereits benutzt. Worauf wartest du also?<, hörte sie ihre eigene Stimme sie lautlos in ihrem Kopf ermutigen.
 
Mit einem Seufzer, der aus den tiefsten Tiefen ihrer Seele zu kommen schien, und unter Aufbietung aller Kräfte schaffte sie es, die kleine Tasche zu greifen. Sie öffnete sie und begann, mit einer Hand in dem Chaos in deren Inneren herumzuwühlen, was sich nicht ganz einfach gestaltete, da die Tasche mit Kleidung, Büchern, Phiolen und vielen anderen nützlichen Kleinigkeiten vollgestopft war. Jedes Mal, wenn ihre Hand ein Buch ertastete, zog sie es heraus, sah auf den Titel und legte es auf einem immer höher aufragenden Stapel ab.
 
Ihre Hand stieß plötzlich gegen einen Bilderrahmen. Dessen Präsenz erinnerte sie schlagartig daran, dass sie mit Harry dringend darüber sprechen sollte, was sie erwarten mochte, falls und wenn sie zum Grimmauldplatz zurückkehren würden. Es war unumgänglich, dass sie sich als nächstes eine Unterkunft suchen mussten, wenn sie nicht hier in Hogwarts bleiben wollten — und Hermione war ehrlich genug — sie wollte das nach den Geschehnissen in den letzten sechsunddreißig Stunden auf gar keinen Fall. Doch dazu musste kurzfristig geklärt werden, auf welche Art und wann sie sich am Besten einen Eindruck davon verschaffen konnten, wie es jetzt im Edlen und Altehrwürdigen Hauses derer von Black aussah und wie hoch das eventuelle Risiko bei einer Rückkehr sein würde.
 
Ihr Blick fiel erneut auf das Portrait, und sie zog es ein Stück heraus. Das Bild zeigte im Moment nur einen leeren Sessel vor einem schwarzen Hintergrund; sein arroganter und sarkastischer Bewohner jedoch war nirgendwo zu sehen. Wenn sie wirklich zum Grimmauldplatz zurückkehren sollten, wie Hermione hoffte, würde sie das Portrait von Phineas Nigellus Black wieder an seinen ursprünglichen Platz hängen müssen. Vielleicht konnte sie damit Black ein wenig versöhnlicher stimmen.
 
Wieder stieß ihre Hand gegen etwas Hartes, und diesmal hatte sie den alten, dicken Wälzer gefunden, nach dem sie suchte.
 
Das Buch war groß und schwer und in dunkles Leder gebunden. Sie hatte damals eine schon fast verblichene handschriftliche Notiz auf der letzten Seite gefunden, die sie trotz aller Bemühungen nicht hatte entziffern können, bis auf eine Jahreszahl, die aufzeigte, dass es mindestens siebenhundert Jahre alt sein musste. Sein Einband war ziemlich wellig und wirkte abgenutzt, als wäre es durch viele Hände gegangen — die offensichtlich nicht immer sehr sorgsam mit ihm umgegangen waren — das Papier war vergilbt und an manchen Stellen fleckig und wirkte, als wären die Seiten oft gelesen worden. In großen verschnörkelten Buchstaben, von denen das Gold bereits zum Teil abzublättern begann, stand Das magische Begreifen des magisch Unbegreiflichen in den ledernen Einband geprägt.
 
War es wirklich erst ein knappes Jahr her, dass sie diesen Wälzer in der Bibliothek des Edlen und Altehrwürdigen Hauses derer von Black gefunden und heimlich in ihre Tasche hatte wandern lassen? >Oh ja, diese Bibliothek<, erinnerte sie sich sehnsüchtig. Ein magisch enorm vergrößerter Raum, der die Massen an Büchern trotzdem kaum fassen konnte. Dort, wo sich die Fensterfront zu dem winzigen Garten hinter dem Herrenhaus hin öffnete, hatten die ehemaligen Eigentümer eine sehr gemütliche Leseecke eingerichtet, die zum Verweilen einlud. Doch es gab auch einen versteckt liegenden Bereich, den kein Sonnenstrahl jemals getroffen hatte, der in fast völliger Dunkelheit lag, wenn man von dem schwachen Schein einiger weniger flackernder Kerzen absah, die ihn in ein gespenstisches Zwielicht tauchten. Und gerade dieser Bereich hatte sie in ihren Bann gezogen.
 
In den Sommerferien zwischen ihrem vierten und fünften Schuljahr — nachdem Sirius dem Orden sein Elternhaus am Grimmauldplatz für dessen geheime Zusammenkünfte zur Verfügung gestellt hatte — war Hermione eines Nachts, als sie nicht schlafen konnte, auf die Bibliothek der Blacks gestoßen. Seit diesem Tag Zeitpunkt verbrachte sie ihre gesamte spärliche Freizeit und viele Nachtstunden damit, die unglaublichen Schätze zu erkunden und die unbeschreiblichen Kostbarkeiten zu entdecken, die hier verborgen waren.
 
Bibliotheken hatten sie schon immer magisch angezogen; sie war eine Leseratte und würde es vermutlich auch immer bleiben. Bücher waren ihre einzigen Freunde gewesen — schon lange vor ihrer Zeit in Hogwarts. Schon als kleines Kind hatte sie feststellen müssen, dass sie anders als andere war. Merkwürdige Begebenheiten und unerklärliche Zwischenfälle — Dinge, die weder sie selbst noch ihre Eltern sich erklären konnten — prägten bereits ihre früheste Kindheit. Die Kinder in der Nachbarschaft und der Schule hatten sie abgelehnt; ihre wirklichen Freunde waren ausschließlich Bücher gewesen. Bücher, die ihr eine große Menge an Wissen vermittelten, aber auch solche, die sie in andere Welten entführten, wenn ihre eigene reale Welt ihr einmal mehr zu kalt und zu ungerecht erschien, wenn sie traurig oder einsam oder wieder einmal zurückgestoßen worden war.
 
Bücher blieben ihre einzigen Freunde — Freunde, die nicht über sie urteilten oder sie gar verurteilten. Dies hatte sich erst in Hogwarts zu Halloween in ihrem ersten Jahr geändert, als Harry und Ron sie vor dem Troll gerettet hatten. Hier in Hogwarts hatte sie das erste Mal in ihrem Leben Freunde unter ihresgleichen gefunden; es war ein Ort, den sie liebte, auch wenn gerade einige ihrer Mitschüler und deren Eltern — und auch Teile der magischen Bevölkerung — hinter vorgehaltener Hand, allerdings ab und zu auch unverblümt der Meinung waren, Muggelgeborene wie sie würde nicht in diese ‘ihre’ Welt gehören.
 
Doch seit jener nächtlichen Entdeckung am Grimmauldplatz — einer neuen Welt voller neuer Freunde — war sie beinahe jede Nacht leise aus ihrem Zimmer gehuscht und hatte sich für ein paar Stunden in die Bibliothek geschlichen. Oftmals hatte sie den Eindruck gehabt, nicht allein zu sein, doch sie war lange Zeit niemandem begegnet. Nicht nur einmal war sie an der Tür stehen geblieben und hatte nach einem seltsam vertrauten Duft in der Luft geschnuppert, den sie nicht einordnen konnte, von dem sie jedoch mit Bestimmtheit wusste, dass sie ihn kannte.
 
Eines Nachts war sie dann unerwartet auf die Lösung dieses Rätsels gestoßen: In einem der Sessel hatte sichtlich entspannt Professor Snape gesessen und in einem dicken Wälzer geblättert. Er hatte kurz aufgesehen ... und ... ja ... zu ihrer eigenen Überraschung hatte er sie nicht augenblicklich hinausgeworfen — und nicht nur das — er war auch selbst nicht gegangen, nein, er hatte sie einfach nur ignoriert. Vielleicht war sie ihm diese Mühe einfach nicht wert gewesen. Vielleicht hatte er aber auch nur ein einziges Mal Verständnis für sie aufgebracht, weil er von ihrer Liebe zu Büchern gehört hatte. Sie wusste es nicht.
 
Bei einem ihrer nächtlichen Streifzüge hatte sie dann dieses Buch aufgestöbert, uralt, abgegriffen und vermutlich voller Dunkler Magie.
 
Auch wenn Hermione keine Dunkle Hexe war und mit Dunkler Magie nichts zu tun haben wollte, hatte dieses Ding sie angezogen wie Motten das Licht. Sie hatte es von der ersten bis zur letzten Seite gelesen, nein, geradezu verschlungen, und es dann bis ins Mark erschüttert mit spitzen Fingern in das Regal zurückgeschoben, wo sie es gefunden hatte.
 
Erst als sie sich auf ihrer Flucht vor Voldemorts Todessern am Grimmauldplatz häuslich eingerichtet hatten, war ihr das Buch wieder in den Sinn gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits jede sich bietende Gelegenheit beim Schopf ergriffen, nach neuen Zaubersprüchen und Flüchen zu suchen und diese zu erlernen. Sie suchte dabei besonders nach solchen Zaubern, die ihnen im Kampf gegen Voldemort und seine Todesser eine Hilfe bieten könnten, am Leben zu bleiben. Und dieser uralte Wälzer gab Auskunft über alte, fast vergessene Zaubersprüche, die genau diesen Zweck zu erfüllen schienen. Dabei wäre ihr die Bedeutung gerade dieses Zauberspruches beim ersten Lesen beinahe entgangen. Hermione hatte bereits weitergelesen, als ihr Kopf plötzlich hochschnappte und sie, stutzig geworden, hastig zurückblätterte, um den Zauber nochmals genauer zu studieren.
 
Sie hatte später auch nicht die leiseste Spur eines schlechten Gewissens gehabt, dieses Buch in ihrem kleinen Täschchen verschwinden zu lassen, zumal sie sich nicht vorstellen konnte, dass Harry überhaupt bemerken würde, dass sie eines seiner Bücher aus der Bibliothek der Blacks eingesteckt hatte. Inzwischen war ihr zur Sicherstellung ihres Überlebens und der Vernichtung Voldemorts jedes Mittel Recht gewesen.
 
Sie ließ ihren Daumen versonnen über den Buchrücken gleiten, hob dann den vorderen Deckel an und strich sanft über die erste Einbandseite. Dann schlug sie entschlossen die Seite auf, die sie jetzt benötigte. ‘Coniunctio perpetua’ stand dort in verschnörkelten Lettern. Nur wenig sagten diese Worte darüber aus, was sich hinter ihnen verbarg, nämlich einer der mächtigsten und gefährlichsten Zaubersprüche, die Dunkle Magie jemals hervorgebracht hatte. Sie beugte sich über die Seite und begann zu lesen:
 
Während der Internationalen Zaubererversammlung im Jahre 1289 berichtete Hippokratius Birnthaler, seines Zeichens Großmeister und Vorsitzender der Internationalen Vereinigung von Zauberern, der bereits dreißig Jahre zuvor aufgrund der drohenden Verfolgung durch die Inquisition der Muggel aus Mittenwald in Bayern in die Zauberergemeinschaft im bis heute unabhängigen Königreich Schottland geflüchtet war, erstmals über die Neuentwicklung eines Zauberspruchs, der von einem kleinen Kreis ehemals sehr angesehener, jedoch nun aufgrund ihrer offenen Hinwendung zu Dunkler Magie und deren freimütiger Ausübung geächteter Zauberer im Angevinischen Reich geschaffen wurde.
 
Nach Aussagen der wenigen bisher Betroffenen und durch Zufall zugegen gewesenen Personen, die Zeuge der äußerlich erkennbaren Wirkungen dieses Spruches geworden sind, steigt aus der Spitze des Zauberstabes ein purpurner Nebel, der die beiden beteiligten Menschen einhüllt, während der Zauberspruch geworfen wird. Gleichzeitig verspüren beide ein leichtes und oftmals unangenehmes Prickeln von Magie den Nacken hinunter bis zum Schulterblatt, wo es, nach einem kurzzeitigen heftigen Schmerz wie bei einer enormen Hitzeentwicklung, langsam verebbt. Mit dem Schmerz löst sich der Nebel in Nichts auf, als hätte es ihn nie gegeben. Welche konkrete Ursache als Auslöser für diesen Schmerz verantwortlich sein mag, ist nicht erkennbar, da keine Veränderungen der Haut oder in irgendeiner Form sichtbare äußere Anzeichen festgestellt werden konnten.
 
Die zugehörige Beschwörungsformel ‘Coniunctio perpetua’, die nonverbal und zeitgleich mit den in der Abbildung am Ende der Abhandlung aufgezeigten Zauberstab-Bewegungen (betrachte Seite 1384) ausgeführt werden muss, bewirkt, dass der Zauberer oder die Hexe, der oder die diesen Zauber wirft, das Leben und die Existenz eines anderen magischen oder nicht-magischen Menschen auf Gedeih und Verderb an sein oder ihr eigenes Leben bindet.
 
Die mit ihrem Leben an den Zauberer oder die Hexe gebundene Person ist — zumindest den bisherigen spärlichen Erkenntnisse nach — im alltäglichen Leben vollkommen eigenständig in ihren weiteren Entscheidungen. In einigen wenigen Fällen soll angeblich jedoch mit einer weitaus stärkeren mentalen Anbindung, deren Auswirkungen bis jetzt noch nicht einmal ansatzweise erforscht sind, gerechnet werden müssen. Wie aus sehr gut informierten Kreisen berichtet wird, die aus verständlichen Gründen nicht genannt werden möchten, ist besonderes Augenmerk auf den Umstand zu richten, dass die einzige Entscheidung, die durch das ‘Opfer’ des Zaubers nicht aus freiem Willen getroffen werden kann, diejenige ist, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Dieser Aspekt des Zaubers sollte indessen der Denkweise und den Traditionen unserer reinblütigen Gemeinschaft selbstredend entgegenkommen.
 
Dagegen scheint nach Meinung der hier zitierten Gelehrten bereits jetzt relativ zweifelsfrei festzustehen, dass der zugrunde liegende Charakter der Magie, mit der der Zauberer oder die Hexe, der oder die den Zauber wirft, im normalen Leben sympathisiert, ausschlaggebend für die Art der Verbindung sein muss. Die mit aller gebotenen Höflichkeit durch Fedorow Maximovich Njeugodnow aus dem zum ersten Mal an der Internationalen Zaubererversammlung teilnehmenden kleinen Lager der Muggelstämmigen vorgebrachte Warnung, dass genau diese Gelehrten sich noch nicht einmal zwei Jahre mit dieser Thematik befassen würden, verhallten nach lauten Unmutsbekundungen der anwesenden reinblütigen Zauberer und Hexen unbeachtet.
 
Die Unterscheidung des zugrunde liegenden Charakters der Magie in Weiße Magie und Dunkle Künste — obwohl die Grenzen mit Sicherheit als fließend zu bezeichnen sind — wurde inzwischen von einem breiten Personenkreis in der magischen Welt als allgemein verbindlich anerkannt. Je nachdem, welchem der beiden Lager der Zauberer oder die Hexe zuzurechnen ist, der oder die den Zauber wirft, könnte die Beeinflussung des freien Willens der von dem Zauber betroffenen Person in die eine oder andere Richtung erfolgen.
 
Bisher wird von den Gelehrten einstimmig die Auffassung vertreten, dass — sollte dieser Zauberspruch durch einen Zauberer oder eine Hexe geworfen werden, der oder die der Weißen Magie zuzurechnen ist — keine für den von dem Zauber Betroffenen schädlichen Auswirkungen zu erwarten seien, sondern eher eine positive Beeinflussung des Lebens stattfinden dürfte. Falls der Zauberer oder die Hexe, die den Zauber wirft, als Anhänger der Dunklen Künste einzustufen wäre, sei dagegen nicht zweifelsfrei erwiesen, dass dies zwangsläufig zu negativen Einflüssen führen müsste, oder gar ein ‘Opferstatus’ eintritt.
 
Der aus der Grafschaft Wiltshire stammende Reinblüter Maximus Acamar Maltfoiy erwies sich als einer der glühendsten Verfechter dieser Theorie. Er bestritt vehement einen Zusammenhang zwischen der Ausübung Dunkler Magie und der negativen Geisteshaltung eines magischen Menschen. Die wenigsten Hexen oder Zauberer, die die Dunklen Künste einsetzten, wären allein auf ihren eigenen Vorteil bedacht oder strebten danach, andere unter ihre Gewalt zu bringen oder ihnen gar Schaden an Leib und Leben zuzufügen.
 
Daraufhin kam es zu einer hitzigen Auseinandersetzung mit Njeugodnow, nach dessen Dafürhalten die möglichen Folgen des Zaubers vor dem Hintergrund der Dunklen Künste und die Situation für die von dem Zauber betroffene Person wahrscheinlich als äußerst prekär einzustufen seien. Den negativen Charakter dieses Zauberspruches würde man bereits daran erkennen, dass überhaupt die Anbindung eines anderen Menschen an die eigene Person damit bezweckt würde. Erschwerend käme hinzu, dass bisher niemand dazu in der Lage gewesen wäre, einen Gegenzauber zu entwickeln. Die durch den Zauber geschaffene Verbindung könne nach den bisherigen Erkenntnissen nicht gelöst werden und erlösche erst durch den Tod eines der beiden Beteiligten.
 
Njeugodnow, der — obwohl muggelstämmig — in seiner Heimat, der Republik Nowgorod, als Koryphäe auf seinem Gebiet (Zauberkunst) gilt, erklärte diese Situation für den Betroffenen als untragbar und beantragte offiziell eine Ächtung des Zauberspruches. Mit Hilfe der Stimmen aus dem Lager der Rein- und Halbblüter wurde dieser Antrag allerdings mit überwältigender Mehrheit abgeschmettert. Fedorow Maximovich Njeugodnow ließ sich durch diese Niederlage jedoch nicht davon abhalten, deutlich vernehmbar darauf hinzuweisen, dass es sich hinsichtlich des Zusammenhanges zwischen dem zugrunde liegenden Charakter der Magie [Anmerkung des Verfassers: Weiße Magie oder Dunkle Künste] und dem Kernstück — der Art der Beeinflussung — ausschließlich um eine bisher nicht bestätigte Theorie handelt. Seines Erachtens sei diese Frage noch lange nicht geklärt.
 
Dass es bei der Anwendung dieses Zaubers zu unschönen Auswüchsen kommen kann, bestätigt ein noch nicht lange zurückliegender Zwischenfall aus Roche-aux-Moines, der als äußerst beunruhigend bezeichnet werden muss. Nach einem bisher noch nicht verifizierten Bericht eines Ohrenzeugen wurde beobachtet, wie in der Erbmonarchie Frankreich erst vor wenigen Wochen ein reinblütiger Zauberer, der den Dunklen Künsten zugetan ist, zu dem Mittel dieses Zaubers griff, um eine ebenfalls reinblütige Hexe auf diese Art an sich zu binden, um diese gegen ihren zuvor ausdrücklich geäußerten Willen zu einer magischen Handfastening-Zeremonie zu zwingen. Die Zauberergemeinschaft verlieh geschlossen ihrer Hoffnung Ausdruck, dass dies ein Einzelfall bleiben wird.
 
Hippokratius Birnthaler sprach sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse und der konträren Meinungen zwischen Halb- und Reinblütern auf der einen Seite und Muggelstämmigen auf der anderen Seite unter anderem dafür aus, dass die Verwendung dieses Zauberspruches einer genauen Überwachung unterliegen müsse und bei einer der nächsten Internationalen Zaubererversammlungen eine Entscheidung darüber zu treffen sei, ob dieser Zauber als Bedrohung einzustufen sei und deshalb unter den Bann Dunkler Magie fallen oder gegebenenfalls doch ‘nur’ geächtet werden solle.
 
Hermione schlug das Buch zu und lehnte sich tief durchatmend zurück. Ihr Gedächtnis hatte sie nicht im Stich gelassen. Der Zauber war genau so beschrieben, wie sie ihn in Erinnerung hatte: Die Verbindung zwischen ihr und Severus Snape war endgültig! Hermione lachte leise auf. Professor Snape konnte sich glücklich schätzen, dass sie eine Anhängerin Weißer Magie war. Nicht auszudenken, was sie hätte anrichten können, wenn … ja, wenn … Doch das Lachen verging ihr sehr schnell. Er würde sich ganz sicher nicht glücklich schätzen …
 
Für einen Moment schloss sie die Augen und ließ ihre Gedanken zurück in die Bibliothek im Edlen und Altehrwürdigen Haus derer von Black wandern. Sie sah sich selbst wieder dort auf dem Fußboden sitzen, mit dem aufgeschlagenen Buch auf den Knien. Mit Schaudern erinnerte sie sich daran, dass sie damals diesen Zauberspruch sehr bewusst gelernt hatte, um im Kampf gegen Voldemort eine letzte Möglichkeit — eine Art von ultimativer Waffe — zu haben, Harrys Leben zu retten, sollte es zum Äußersten kommen. Um die Prophezeiung doch noch zu erfüllen, indem sie seine Existenz an ihre eigene band. Zum Glück war es niemals zu diesem unvorstellbar Schlimmsten gekommen.
 
Doch nun hatte das Schicksal eine Wendung genommen, die sie nicht hatte vorausahnen können. Mit diesem Zauber hatte sie eine magische Verbindung zwischen ihrem ehemaligen Professor und sich geschaffen, die niemand mehr trennen konnte. Nicht Harrys Leben, sondern das Leben eines Mannes, der von den meisten Menschen in ihrer Welt als Todesser, als Mörder, angesehen wurde, war von nun an unumkehrbar an ihr eigenes gebunden. >Verdammte Gryffindor-Sentimentalität<,stöhnte sie innerlich. Hilflos über so viel Philanthropie schüttelte sie den Kopf. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass er darauf auch nur in Grundzügen positiv reagieren würde, wenn er davon erfuhr.
 
Nun, wenn sie es ironisch betrachtete, hatte ihr das Schicksal vor wenigen Stunden ein Bein gestellt. Und sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als auf die Nase zu fallen. Als sich jedoch genau dieses Bild in ihrem Kopf formte, spürte sie, wie ihre Mundwinkel sich gegen ihren Willen zu einem spöttischen Lächeln verzogen.
 
Außerdem — wer wusste schon, wofür es gut war? Und mit seinem Zorn — und was sonst noch von ihm zu erwarten wäre — würde sie schon irgendwie umzugehen lernen.
 
Sie zuckte zusammen, als ihr Kopf nach vorn fiel. Sie würde nachher weiter darüber nachdenken. Jetzt würde sie wirklich erst einmal Madame Pomfreys Mahnung beherzigen und wenigstens ein oder zwei Stunden schlafen; sie war hundemüde. Wie zur Bestätigung musste sie gähnen. Sie machte es sich im Sessel bequem, schloss die Augen und glitt sanft ins Reich der Träume hinüber.
 
 
 
Fortsetzung folgt …
 
 
A/A:
неугодный – sprich: nje-u-god-nüij – Russisch für: "unerwünscht"
 
Die Idee zu dem verborgenen Turmzimmer wurde inspiriert durch The Enchanted Tower Room by beaweasley2
http://ashwinder.sycophanthex.com/viewstory.php?sid=18801

 
 
 
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