AleaThoron
   
  FairyCat's Potions and Passions
  Kapitel 04 — Erkenntnisse
 
DISCLAIMER: Ich verdiene kein Geld damit, habe jedoch genau den unglaublichen Spaß, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Alle agierenden Personen gehören JKR. Ich habe sie mir heimlich ausgeborgt, verspreche aber, gut auf sie aufzupassen und sie wohlbehalten und an Erfahrungen reicher und gereifter wieder zurückzugeben.
 
Beta: Deep Water — Mein ganz spezieller Dank gilt meinem Beta, der eigentlich mein Vater ist, und der es sich trotz seiner schweren Krankheit nicht nehmen ließ, mein erster Kritiker zu sein.
 
Coniunctio perpetua by Alea Thoron
 
 
Kapitel 04 — Erkenntnisse
 
Die dröhnenden Schmerzen hinter seiner Stirn wurden ohne Zweifel nur noch von den pulsierenden Schmerzen in seinem Nacken übertroffen. Das Rauschen in seinen Ohren ließ darauf schließen, dass ganz in der Nähe ein Wasserfall sein musste, wobei er sich aber trotz mühseligen Überlegens nicht daran erinnern konnte, sich an einem Ort aufgehalten zu haben, wo sich ein Wasserfall befand. Allerdings wurde Nachdenken unter diesen Bedingungen zu einer fast unüberwindbaren Hürde. Severus Snape fühlte sich, als ob sein Körper unfreiwillig Bekanntschaft mit dem Hogwarts-Express gemacht hätte.
 
Er versuchte, die Augen vorsichtig einen Spalt zu öffnen, hatte jedoch nicht den gewünschten Erfolg dabei, weil es so schien, als hätte irgendjemand seine Augenlider mit einem Dauerklebefluch befestigt. Unter den Fingern seiner rechten Hand konnte er irgendetwas Weiches spüren, und auch sein Körper signalisierte, dass er auf etwas Weichem lag. Er bewegte langsam die Spitze seines Zeigefingers über dieses obere Etwas, um eine ungefähre Vorstellung davon zu erhalten, was es sein könnte, tastete, nachdem er sich nicht sicher war, mit allen Fingern herum, bis er zu der Überzeugung gelangte, dass über ihn eine Decke ausgebreitet lag. Wo war er?
 
Durch seine geschlossenen Augenlider konnte er vage die zunehmende Helligkeit des anbrechenden Morgens erkennen. Er versuchte ein weiteres Mal, seine Augen zu öffnen, was sich allerdings im Nachhinein als eine seiner schlechteren Entscheidungen erwies. Ein stechender Blitz fuhr abrupt durch seinen gesamten Kopf, ließ ihn zusammenzucken und vor Schmerzen qualvoll aufstöhnen, was wiederum höllische Schmerzen in seinen Nacken sandte. Gequält schloss er die Augen wieder. Augenblicklich ließen zumindest die Kopfschmerzen ein wenig nach, was ihm wenigstens das Nachdenken erleichtern würde.
 
Er konnte sich also im Moment nur auf seine anderen Sinne stützen. Eine über ihn ausgebreitete Decke und eine weiche Unterlage ließen nur eine einzige Schlussfolgerung zu: Er lag in einem Bett. Dies wiederum konnte nur bedeuten, dass ihn irgendjemand gefunden und aus der Heulenden Hütte an einen anderen Ort transportiert hatte.
 
Es gab nur wenige Menschen — um präzise zu sein, es waren nur vier — die davon Kenntnis hatten, dass er sich zuletzt in der Heulenden Hütte aufgehalten hatte. Lucius Malfoy konnte er außer Acht lassen. Obwohl Lucius der Einzige der Todesser gewesen war, mit dem ihn so etwas wie Freundschaft verbunden hatte, wusste er, dass er und seine Frau Narcissa während der Konfrontation zwischen Voldemort und Harry Potter nur an eines gedacht hatten: Das Leben ihres Sohnes Draco zu retten. Er hatte sicherlich keinen Gedanken an ihn, Severus, verschwendet.
 
Und auch eine zweite Person aus der Gruppe konnte er ohne zu zögern und mit absoluter Sicherheit ausschließen: Weasley, der sich einen Dreck dafür interessierte, ob Severus Snape lebte oder starb. Wenn Severus eine Wette mit sich selbst hätte abschließen müssen, würde er sich sogar dazu hinreißen lassen zu behaupten, dass der Rotschopf ihn lieber tot als lebendig sehen würde.
 
Die beiden Verbleibenden waren von einem anderen Kaliber.
 
Er hatte Potter einen Teil seiner Erinnerungen überlassen, darunter auch Erinnerungen, die er eigentlich nicht hatte weitergeben wollen, weil sie zu persönlich waren, aber er hatte gehofft, dass Potter mit ihrer Hilfe in der Lage sein würde, die Wahrheit zu erkennen. Severus hatte nicht wirklich daran geglaubt, dass er die Vernichtung Voldemorts miterleben und überleben würde, so dass er Potter mehr Erinnerungen gegeben hatte, als eigentlich von Nöten gewesen wäre. Aber, nun … sie sollten als eine Art Erklärung fungieren, vielleicht sogar als … sein Vermächtnis.
 
Es gab nur eine Sache, die dagegen sprach, dass Potter Severus hier her gebracht hatte, wo auch immer dieses ‘hier’ war: Harry Potter wäre niemals in der Lage gewesen, ihn wenigstens so lange am Leben zu erhalten, bis er ihn in ein Bett legen konnte, bis sich Poppy oder ein anderer Heiler oder überhaupt irgendjemand um ihn hätten kümmern können.
 
Dann blieb einzig und allein — Granger. Sie hatte nicht nur die notwendigen Kenntnisse und die Cleverness. Auch wenn er dies nicht einmal unter massiver Folter durch den Cruciatus-Fluch zugeben würde, sie war die brillanteste Hexe ihres Alters, wenn nicht sogar des Jahrhunderts. Er hatte durch seine Tätigkeit als Schulleiter und seine Gespräche mit Phineas Nigellus Black und Albus Dumbledore im letzten Jahr eine ungefähre Ahnung davon bekommen, dass sie Dinge mit sich herumtrug, an die dieser rothaarige Dummkopf und auch der Potter-Junge nicht einmal im Traum denken würden. Dass die drei ein Jahr Flucht vor dem Dunklen Lord und seinen Todessern relativ unbeschadet überlebt hatten, war sicherlich nicht zuletzt das Verdienst von Granger.
 
Hermione Granger. Er wusste aus dem Geschwätz seiner Kollegen untereinander, das er oft genug ungewollt im Lehrerzimmer hatte mitanhören müssen und von dem er, trotzdem er versucht hatte, sie aus seinen Gedanken auszublenden, Gesprächsfetzen aufgefangen hatte, dass Hermione Granger die Einzige unter den Schülern war, die ihn immer verteidigt hatte, die Einzige, die immer mit Vehemenz darauf beharrt hatte, dass man von ihm auch in seiner Abwesenheit als ‘Professor Snape’ redete, seinen Titel also nicht unterschlug. Sie hatte ihm immer Respekt entgegengebracht, egal wie er sie behandelt hatte. Etwas, das er nicht wirklich verstand.
 
Er glaubte, eine Frage geklärt zu haben, trotzdem blieben noch immer viele Fragen offen. Und er würde nicht eher Ruhe geben, bis er auf alle Fragen, die ihn beschäftigten, eine befriedigende Antwort bekommen hatte.
 
>Granger< — wieder wanderten seine Gedanken zu diesem Mädchen. Sie hatte ihm ganz sicher keinen Gefallen getan, auch wenn sie das vielleicht glaubte. Niemals, nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen, hätte er sich vorstellen können, nach dem Sturz Voldemorts noch am Leben zu sein. Was sollte es auch für eine Zukunft für ihn geben — falls er nicht den Kuss der Dementoren bekam, den er verdiente — blieb ihm nur ein langsames Dahinvegetieren in Azkaban und ein schleichender Tod. Und falls er wider Erwarten nach langjähriger Haft dennoch freikommen sollte, durfte er bestenfalls darauf hoffen, irgendwo in der Fremde ein heruntergekommenes dunkles Loch als Schlafgelegenheit und ein winziges Labor, in dem er sich ein paar Knuts verdienen konnte, zu finden.
 
Nein, Granger hatte ihm keinen Gefallen getan. Falls er sie jemals wieder in die Finger bekommen sollte, würde er sie ohne Vorwarnung ins nächste Jahrtausend hexen. Bei dieser Vorstellung wollte er süffisant grinsen, doch der sofortige Schmerz in seiner Kehle ließ ihn aufstöhnen, was bis in seinen Nacken einen höllischen Schmerz verursachte. Das Klicken einer sich öffnenden Tür verdrängte den Schmerz jedoch abrupt.
 
Er hörte gedämpfte Schritte, die er aus hunderten herauskennen würde, und das Rascheln von Roben. »Poppy«, bemühte er sich zu sagen, aber mehr als ein Krächzen brachte er nicht heraus. Die Schritte beschleunigten sich augenblicklich und er versuchte erneut, die Augen zu öffnen, doch das Licht sandte eine weitere Schmerzwelle durch seinen Kopf, so dass er ungewollt aufstöhnte.
 
»Severus«, hörte er Poppys Stimme, in der unendliche Freude, aber auch große Besorgnis schwang. Er spürte die Berührung einer warmen, weichen Hand an seiner Wange, die ihn sanft streichelte. »Warum musst du mir immer solche Sorgen bereiten? Du musst es immer übertreiben, oder? Hat es denn immer noch nicht gereicht? Merlin, bin ich froh, dass du lebst, mein Junge. Bleib ganz ruhig liegen! Ich hole dir noch ein paar Schmerztränke, werde dich dann untersuchen und danach … danach können wir uns vielleicht ein paar Minuten in Ruhe unterhalten.« Sie eilte davon.
 
Trotz des Wortschwalles, der sich gerade über ihn ergossen hatte, entspannte sich Severus innerlich. Er kannte Poppy seit Jahren. Wenn sie so wie eben reagierte, dann musste es wirklich schlimm um ihn gestanden haben. Niemals sonst würde sie einen Patienten dermaßen mit Worten und Emotionen überschütten. Allerdings hatten sich damit auch zwei weitere Fragen geklärt. Wenn Poppy hier war, dann konnte dies nur bedeuteten, dass er sich im Krankenflügel von Hogwarts in Sicherheit befinden musste. Und wenn er in Hogwarts war, dann musste der Dunkle Lord vernichtet worden sein. Harry Potter hatte Voldemort besiegt.
 
Er hörte, wie Poppy zurückkehrte. »So, Severus, der erste Trank soll dir das Schlucken und später auch das Reden erleichtern.« Sie hielt ihm eine Phiole an die Lippen, deren Inhalt er zwar gehorsam, allerdings sehr langsam schluckte.
 
»Mein Kopf bringt mich um.« Seine Stimme klang wie eine kaputte Raspel und während jedem Einatmen erklang ein unnatürlicher Pfeifton.
 
»Du kannst dich glücklich schätzen, dass du überhaupt noch einen Kopf hast, der dich umbringen will. Viel hat nicht gefehlt.« Die letzten Worte waren nur noch ein Murmeln. Trotzdem konnte er ganz genau heraushören, wie sie um Beherrschung kämpfte. »Hier, ein Kopfschmerztrank. Ich denke, der wird helfen.«
 
Severus fühlte eine zweite Phiole an seinen Lippen und trank gierig. Ein paar Augenblicke später verschwand der Schmerz, als hätte es ihn nie gegeben, und er öffnete probeweise seine Augen. Das Licht war zwar grell, aber es war nicht mehr unerträglich. Er wandte seinen Blick nach links, ohne auch nur ansatzweise zu versuchen, den Kopf zu drehen, und sah dort die vertraute Gestalt von Poppy Pomfrey, die ihn besorgt musterte. »Wir haben gewonnen?!« Es war halb eine Feststellung, halb eine Frage.
 
»Ja, es ist endlich vorbei. Voldemort ist endgültig vernichtet.« Poppy seufzte noch in der Erinnerung erleichtert auf.
 
»Potter?«
 
»Harry Potter lebt, und er ist äußerlich unverletzt«, gab Poppy bereitwillig Auskunft. »Und nun ist erst einmal Schluss mit der Fragerei. Ich werde dich jetzt noch einmal umfassend untersuchen und im Anschluss den Verband an deinem Nacken wechseln. Keine Widerrede!« Sie sah ihn streng an, als er bereits dazu ansetzte, ihr zu widersprechen, zog behutsam die Bettdecke von seinem Körper und warf einen Diagnosezauber über ihn, der ihn in einen gelblichen Nebel einhüllte.
 
»Diese verdammte Schlange!«, knurrte er. Er schloss die Augen und genoss das leichte Prickeln der Magie auf seinem Körper, von dem er geglaubt hatte, es nie wieder spüren zu dürfen.
 
»Du sollst still sein!«, ermahnte sie ihn.
 
»Will ich aber nicht.« Er klang wie ein quengelndes Kind, und er wusste das. Auch wenn das Sprechen ihm Schmerzen verursachte und seine Stimme ihm nur unter größter Anstrengung so weit gehorchte, dass er sich wenigstens verständlich machen konnte — er wollte nicht still sein. Wenn es nach seinem ‘Meister’ gegangen wäre, würde er jetzt bereits für immer still sein.
 
Er hatte in seiner Jugend nur zwei wirklich schwerwiegende Fehler begangen: Der Erste, der mit dem einfach auszusprechenden Wort Schlammblut begonnen hatte, hatte ihn letztendlich emotional beinahe zerstört, als Lily seine ehrlich gemeinten Entschuldigungen von sich wies, ihm den Rücken zukehrte und in den Armen von Severus’ ärgstem Feind landete. Der Zweite, der davon zeugte, dass er aus dem Ersten nichts gelernt hatte, hatte ihm als Nebenprodukt zu seinem magischen Brandzeichen fast zwanzig Jahre Hölle aus Schuld und Selbsthass eingebracht. Allerdings hatten beide nicht ihn, sondern die Frau, die er liebte, das Leben gekostet.
 
Er musste spüren, dass er lebte, er musste sich selbst davon überzeugen, dass ihn diese wirklich schrecklichen Fehler aus seiner Jugend nicht umgebracht hatten. Viel Zeit würde ihm ohnehin nicht dafür bleiben, bis das Ministerium auf dem Plan erschien.
 
»Du bist und bleibst ein Dickkopf, oder? Na schön, dann rede mit mir. Es ist deine Kehle. Du hast Glück gehabt, dass du ein Gegengift gebraut hast und es auch bei dir hattest«, stellte sie fest, als sie begann, ihren Zauberstab in komplexen Bewegungen über seinen Körper zu führen. Dort, wo der Zauberstab ihn berührte, verfärbte sich der Nebel von Gelb in Grün, mit einem leichten Rotstich an den wenigen Stellen, wo seine Verletzungen bisher noch nicht richtig verheilt waren.
 
»Glück?«, fragte er mit ironischem Tonfall, zumindest insoweit es seine Stimme zuließ. »Glück?«, raspelte er.
 
»Hast du gewusst, dass Du-weißt-schon-wer dich durch seine Schlange angreifen lassen würde?«, fragte sie ihn ungläubig.
 
Er holte tief Luft und war froh, dass wenigstens das Pfeifen beim Einatmen aufgehört hatte. »Nein, aber es war eine von mehreren Möglichkeiten. Nachdem ich eine lange Zeit darüber nachgedacht habe, kam ich zu dem Resultat, dass die Wahrscheinlichkeit eines Ablebens meiner Person durch Nagini relativ hoch war.« Inzwischen fiel ihm das Sprechen bereits weitaus leichter und seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren schon viel mehr nach ihm selbst. »Der Dunkle Lord war schon seit langer Zeit vollkommen auf Nagini fixiert; sie war sein Schoßtier und vermutlich das einzige Wesen, dem er wirklich vertraut hat. Es existiert keine Möglichkeit, den Todesfluch zu überleben, aber ich bin nicht umsonst ein Meister der Zaubertränke. Ich war darauf vorbereitet, wie ich seit Jahren auf alles in meinem Leben vorbereitet bin.«
 
»Oh ja, das habe ich in all den Jahren bemerkt.« Ihre Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. Der Zauberstab war inzwischen an seinem Hals angekommen, wo der Nebel ein leuchtendes Rot angenommen hatte.
 
Er öffnete seine Augen wieder und schaute sie an. »Tsss, tsss, wo sind deine Umgangsformen geblieben? Auf diese Art und Weise mit einem leidenden Patienten zu sprechen! Und so jemand will die Matrone von Hogwarts sein.«
 
»Dies ist die einzige Ausdrucksweise, die du verstehst. Glaub’ mir, ich muss es wissen, denn schließlich habe ich es früher auf die freundliche Art versucht.« Sie ließ ihren Zauberstab in mehreren komplizierten Bewegungen über seine Kehle wandern und das leuchtende Rot verblasste und machte einem hellen Grün Platz. »Falls es dich interessieren sollte, dein Körper hat das Gift restlos unschädlich gemacht.«
 
»Ich habe nichts anderes erwartet, deswegen interessiert es mich nicht sonderlich«, kratzte seine Stimme. »Allerdings gibt es etwas, was ich dich fragen muss. Und das interessiert mich sehr wohl.«
 
Madame Pomfrey hatte bereits eine ganze Weile auf diese Einleitung gewartet. Sie wusste, was kommen würde, wusste allerdings immer noch nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Jede halbe Stunde war sie in diesen Raum gekommen, um nach ihm zu schauen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass er wirklich lebte. Und nur diese kurzen Momente hatten ihre Gedanken darüber abgelenkt, wie sie mit genau dieser Situation umgehen könnte. Sie hatte Miss Granger entgegen besserem Wissen ein Versprechen gegeben. Nun würde sie abwarten müssen, wie weit Severus mit seinen eigenen Überlegungen gekommen war. Denn dass er darüber nachdenken würde, war ihr von Anfang an klar gewesen. Sie sah ihn zurückhaltend an.
 
Er setzte bewusst seine alte Maske aus Desinteresse und absoluter innerer Ruhe auf. »Meine letzte Erinnerung beinhaltet den Zeitpunkt, an dem ich Potter meine Erinnerungen übergeben habe. Danach habe ich vermutlich endgültig das Bewusstsein verloren. Ich kann mit Bestimmtheit ausschließen, dass es mir aus eigener Kraft möglich gewesen sein soll, den Krankenflügel zu erreichen«, leitete er seine Nachforschungen ein. »Was ist geschehen?« Er stellte diese Frage ganz bewusst nur allgemein.
 
>Seine schwarzen Augen sind undurchdringlich<, dachte Poppy. >Wenn ich diesen Ausdruck nicht schon hunderte Male gesehen hätte, dann würde ich ihm glauben, dass es ihn nur am Rande interessiert.< Sie hatte mit einer weitaus direkteren Frage gerechnet. Dann rang sie sich ein Lächeln ab. »Nun, jemand hat dich gefunden, hat festgestellt, dass du noch lebst und dich hierher gebracht«, antwortete sie genauso allgemein. Sie konnte sehen, welche Beherrschung es ihn kostete, um nicht genervt die Augen zu verdrehen.
 
»Hat dieser ‘Jemand’ auch einen Namen?«, fragte er dann trügerisch sanft.
 
Noch war nichts wirklich Forderndes oder Lauerndes in seinem Blick oder seinem Tonfall, aber Poppy wusste aus langjähriger Erfahrung, dass dies jede Sekunde umschlagen könnte. Sie entschied sich für einen Teil der Wahrheit. »Ja, aber ich wurde gebeten, diesen Namen nicht zu nennen.«
 
»Gebeten!?« Er hob eine Augenbraue.
 
Poppy zögerte leicht. »Ich habe es versprochen.«
 
»Aha, ich denke, wir kommen der Wahrheit langsam näher. Wem hast du es versprochen?«
 
»Hmpf.«
 
Ein kurzes spöttisches Lächeln traf sie. »Es war einen Versuch wert, oder? Schließlich hat es früher immer funktioniert.«
 
»Da warst du auch erst elf!«
 
Er lachte leise. Hier bei Poppy durfte er sich dies erlauben. »In diesem einen Punkt hast du gewonnen. Bei allem anderen wirst du nicht einfach so davonkommen. Ich will wissen, wer es war und was der- oder diejenige getan hat.”
 
»Nein, Severus. Wie ich sagte, ich habe es versprochen.« Poppy schüttelte ablehnend den Kopf. Wieder erinnerte sie sich an Hermione Grangers traurige Augen, an die leisen stockenden Worte, als sie davon berichtet hatte, wie Severus mit ihr umgegangen war, und an ihr Geständnis, wie sie sich dabei gefühlt hatte. Was auch immer dieses Mädchen sonst noch verbarg, sie würde es Severus nicht dermaßen leicht machen. »Nein«, wiederholte sie fest.
 
Severus schloss gequält die Augen. »Ich schulde irgendjemandem eine Lebensschuld, Poppy! Was glaubst du, was es für mich bedeutet, durch dieses Schloss zu laufen, in die Gesichter der Schüler zu sehen und nicht zu wissen, wem ich verpflichtet bin«, startete er den Versuch, Poppy seine Situation zu erklären.
 
»Ausgerechnet ich, der meistgehasste und -gefürchtete Meister der Zaubertränke, der seine Schüler terrorisiert und erniedrigt hat. Der Todesser, den der Dunkle Lord als Schulleiter eingesetzt hat, der in den Augen der Anderen nicht willens war, den Handlungen und Anschauungen zweier ‘Professoren’ entgegenzutreten, die er einstellen musste, um dem Dunklen Lord gegenüber seine Loyalität zu untermauern und der in seinen eigenen Augen nicht in der Lage war, seine ihm anvertrauten Schüler wirksam zu schützen.«
 
Poppy drehte sich bei diesen Worten fast der Magen herum. Dieser Mann, der allgemein als eiskalt und ohne jegliche Skrupel galt, der seit fast zwanzig Jahren einem Monster die Stirn geboten hatte, ließ einen tiefen Einblick in seine Seele zu. Sie streckte voller Mitgefühl die Hand aus und strich ihm sanft über die schwarzen Haare. »Oh, Junge. Ich glaube nicht, dass die Person, die dein Leben gerettet hat, irgendetwas von dir erwartet«, erwiderte sie leise. »Diese Person würde dir nicht schaden wollen. Sonst hätte sie dir keine Zaubertränke verabreicht und dich einfach liegen lassen.«
 
»Sie?«
 
»Ja, sie — die Person! Severus, das war plump.«
 
»Entschuldige, Poppy. Du hast Recht«, seufzte er. »Also gut, kürzen wir die Angelegenheit ab. Könnte es sein, dass es sich bei der fraglichen Person um eine Schülerin handelt, deren Anwesenheit in ihrem siebenten Jahr vom Dunklen Lord nicht erwünscht gewesen wäre?«
 
Poppy stellte für sich fest, dass Severus langsam wieder zu Hochform auflief. »Warum fragst du, wenn du es bereits zu wissen glaubst?!«
 
Er zuckte mit den Schultern, woraufhin er vor Schmerz gequält das Gesicht verzog. Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder in der Gewalt hatte. »Es ist die einzig logische Annahme. Die einzige Person, die über alle relevanten Informationen verfügte und genügend Intelligenz besitzt, sich dieser Informationen auch zu bedienen, ist Miss Granger.«
 
»Du gibst zu, dass sie ‘Intelligenz besitzt’?« Trotz ihrer Angespanntheit konnte sich Poppy Pomfrey diese Frage einfach nicht verkneifen. »Ich hätte niemals geglaubt, dass ich dies noch erleben würde. Nun, niemand kann dir die Fähigkeit zu logischen Schlussfolgerungen absprechen. Andererseits sehe ich keine Veranlassung, mein Versprechen zu brechen.« Sie konnte diesen schwarzen Augen nicht länger standhalten und wandte den Blick ab.
 
»Warum habe ich eigentlich diese Zweifel, dass ich noch immer nicht alle Mosaiksteine zusammengesetzt habe?«, fragte er leise.
 
»Vielleicht, weil es keine weiteren Steine gibt?« Sie ahnte, dass sie Severus damit nicht zufrieden stellen würde. Er kannte sie und ihre Reaktionen einfach zu gut. Und es war schließlich auch nur ein vages Gefühl gewesen, das sie beschlichen hatte.
 
Seine Augen wurden schmal und hart. »Poppy!«
 
»Also gut«, gab sie ihren Widerstand auf. »Während ich mit dem- oder derjenigen gesprochen habe, hatte ich so ein unbestimmtes Gefühl, dass diese Person etwas verbirgt, irgendetwas, das ich nicht greifen, nicht benennen kann. Da war ein so seltsames Zögern, als ob sie noch irgendetwas hinzusetzen wolle und sich dann doch umentschied.«
 
»Hast du irgendeine Vermutung, worum es sich dabei handeln könnte?«, fragte er angespannt.
 
Sie schüttelte ihren Kopf. »Nein. Aber ich hatte auch nicht die Zeit, viel darüber nachzudenken.«
 
Die Tür des Behandlungsraumes wurde plötzlich aufgestoßen.
 
*'*'*'*'*
 
Minerva McGonagall war auf der Suche nach Poppy Pomfrey in den Krankenflügel gekommen. Da sie durch den Beirat der Schule noch gestern Abend als Amtierende Schulleiterin der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei eingesetzt worden war, gehörte es zu ihren Aufgaben, sich einen Überblick über die Verletzten zu verschaffen, die sich noch in Behandlung befanden und ebenfalls nachzufragen, ob Poppy der Hilfe weiterer Hände oder Ausrüstungsgegenstände bedurfte.
 
Als sie den Krankenflügel humpelnd — auf ihren alten Stock gestützt — betrat, waren nur noch wenige Betten mit Schülern belegt. Es waren ausschließlich die leichteren Fälle, die Madame Pomfrey hier behalten hatte, um sie zu behandeln. Alle Patienten mit schweren Fluchschäden oder problematischen nichtmagischen Verletzungen hatte man in das besser ausgerüstete St. Mungo’s verlegt, wo sich Spezialisten um die Verletzten kümmerten.
 
Minerva ging langsam und sehr leise, um die Schlafenden nicht zu wecken, von Bett zu Bett. Auf vielen der Nachttische standen Phiolen mit Traumlosschlaf, letzte Zeugen des Horrors des vergangenen Tages. Ihr Herz zog sich beim Anblick ihrer Schüler und Schülerinnen, die sie bei ihrer Ernennung zum Professor zu beschützen geschworen hatte, schmerzhaft zusammen. Sie waren doch noch Kinder; Kinder, die gnadenlos und viel zu früh mit einer Brutalität des Lebens konfrontiert worden waren, die nicht einmal Erwachsenen hätte aufgebürdet werden dürfen.
 
Irgendwo hörte sie Poppys Stimme und eine weitere, von der sie zu wissen glaubte, dass der dazugehörige Mann nicht mehr am Leben war. Sie schaute sich um und lauschte angestrengt, bis ihr Blick auf die nur angelehnte Tür des angrenzenden Behandlungsraumes für die Lehrkräfte von Hogwarts fiel. Trotz ihres anstrengenden Humpelns hatte Minerva mit wenigen Schritten die Distanz überbrückt und die Tür aufgestoßen.
 
Mit völlig ungläubigem Gesichtsausdruck starrte sie auf den schwarzhaarigen Mann, der dort am Fenster im Bett lag, die Decke bis unter die Arme hinaufgezogen, die schmalen Finger der Hände auf der Bettdecke verschränkt, seine Lippen von einem ironischen Lächeln verzogen. »Severus?«, wisperte sie, während sie ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, als hätte sie einen Geist gesehen.
 
»Minerva!«, ertönte seine wohlbekannte leise, aber durchdringende und ‘ölig’ klingende Stimme, mit dem ihr nur allzu sehr vertrauten Timbre aus einer Mischung von Seide und Stahl. Doch ihr blieb auch nicht verborgen, wie sehr ihn dieses eine Wort bereits anzustrengen schien.
 
Sie wagte kaum, auch nur noch einen Schritt näher an diese Szene heranzugehen, aus Angst, dass sich der Mann im nächsten Augenblick als eine von ihrer Phantasie vorgegaukelte Erscheinung entpuppen könnte und nur eine schreckliche Leere, getragen von Schuld und dem Gefühl, vor sich selbst versagt zu haben, zurücklassen würde.
 
Während der letzten Konfrontation in der Großen Halle zwischen Harry Potter und dem Mann, der sich selbst Lord Voldemort nannte, hatte sie, wie alle anderen auch, gebannt Potters Worten über Severus Snape gelauscht, mit denen Harry Voldemort herausgefordert hatte. Es hatte sich angefühlt, als ob ihr irgendjemand gerade einen Schlag in die Magengrube versetzt hätte, sie hatte sich wie noch niemals zuvor in ihrem Leben geschämt, als sie zurückdachte an das letzte Wort, das sie Severus voller Hass und Abscheu entgegengeschleudert hatte. >Feigling<, hörte sie ihre eigene Stimme zischen. >Feigling!< Sie schloss voller Scham die Augen.
 
Als sie sie wieder öffnete, gab es für sie keinerlei Zweifel mehr, wie sie sich zu verhalten hätte. »Es tut mir leid, Severus. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr«, sagte sie leise. »Ich habe mich absolut schäbig verhalten. Gerade ich hätte wissen müssen, dass du auf unserer Seite stehst. Ich hätte niemals an dir zweifeln dürfen.«
 
Severus hob eine Augenbraue. »Es war dein Recht, meine Loyalität in Zweifel zu ziehen. Ich habe dir durch meine Handlungen im vergangenen Jahr keine Veranlassung gegeben, anders zu empfinden.« Seine Stimme klang nun wieder kratzig, und er versuchte erst gar nicht mehr, seine Schmerzen und seine Schwäche weiterhin zu verbergen.
 
»Albus vertraute dir mit seinem Leben. Das allein hätte Beweis genug sein müssen«, hielt sie ihm nachdrücklich entgegen.
 
»Und ich habe ihm dieses Leben genommen.«
 
»Oh, Severus!« Sie humpelte auf ihn zu und streckte ihm langsam ihre freie Hand entgegen.
 
Poppy spürte, dass sie im Moment hier überflüssig war, ging hinaus und schloss leise die Tür hinter sich. Sie überlegte nur kurz. Dies war eine Gelegenheit, die sich nicht so schnell wieder ergeben würde. Minerva hatte das Büro des Schulleiters verlassen, so dass dieses nun leer stand. »Tripsy!«
 
Mit einem leisen Plopp apparierte die Hauselfe direkt vor ihr und verbeugte sich tief. »Madame Pomfrey hat nach Tripsy verlangt?«, fragte das kleine Wesen.
 
»Ja. Suche Miss Granger und sage ihr, sie möge sofort in den Krankenflügel kommen.«
 
»Sehr wohl.« Noch einmal verbeugte sich die Elfe und verschwand mit einem Plopp.
 
 
 
Fortsetzung folgt …
 
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