AleaThoron
   
  FairyCat's Potions and Passions
  Kapitel 02 — Schweig ganz still oder Die erste Verbündete
 
DISCLAIMER: Ich verdiene kein Geld damit, habe jedoch genau den unglaublichen Spaß, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Alle agierenden Personen gehören JKR. Ich habe sie mir heimlich ausgeborgt, verspreche aber, gut auf sie aufzupassen und sie wohlbehalten und an Erfahrungen reicher und gereifter wieder zurückzugeben.
 
Beta: Deep Water — Mein ganz spezieller Dank gilt meinem Beta, der eigentlich mein Vater ist, und der mich mit »Und wann schreibst Du endlich Deine eigene Geschichte?« erst dazu gebracht hat, diese Story Wirklichkeit werden zu lassen.
 
 
Coniunctio perpetua by Alea Thoron
 
 
Kapitel 02 — Schweig ganz still oder Die erste Verbündete
 
Als sie den Geheimgang unter der Peitschenden Weide verließ, der zur Heulenden Hütte führte, funkelten hoch über ihr noch einige wenige Sterne am Himmel, während sich über den Mond ein dünner Schleier aus Dunst gelegt hatte. Kurz bevor sie mit ihrer Last das Schloss erreichte, warf sie einen Nichtbeachtungszauber über sich selbst und den Professor. Auf diese Weise schaffte sie es, unbeobachtet in den Krankenflügel zu gelangen, wo sie hinter den Flügeltüren gleich scharf nach rechts abbog.
 
Aus ihrem eigenen Aufenthalt hier nach der Katastrophe im Ministerium in ihrem fünften Jahr wusste sie, dass es hier einen kleinen, recht versteckt gelegenen Behandlungsraum gab, der vermutlich für die Behandlung der Mitglieder des Lehrkörpers vorgesehen war. Sie hatte damals mitten in der Nacht Geräusche gehört, und da es ihr zu diesem Zeitpunkt bereits besser ging, war sie diesen aus reiner Neugier nachgegangen. Dort hatten Madame Pomfrey und Professor Dumbledore leise über den Gesundheitszustand von Ron Weasley diskutiert, der mit diesen schrecklichen Gehirnen in Berührung gekommen war. Eine ganze Weile nachdem die beiden den Raum verlassen hatten, schlich sich Hermione noch einmal dorthin und öffnete leise die Tür. Sie hatte sich — wie sie es schon vermutet hatte — in einem vollständig eingerichteten Behandlungsraum mit fünf Betten wieder gefunden, die von einander durch Vorhänge abgetrennt waren.
 
Genau dieses kleine Zimmer war jetzt ihr Ziel.
 
Sie ließ Professor Snape in das Bett am Fenster schweben und legte vorsichtig eine Decke über seinen Körper. Nach einem letzten langen Blick auf ihn, während sie sich bereits der Tür zuwandte, machte sie sich umgehend auf die Suche nach Madame Pomfrey, die sicherlich irgendwo im angrenzenden großen Raum immer noch mit den vielen Verletzungen magischer und nichtmagischer Art beschäftigt sein musste, die zu den grausigen Hinterlassenschaften eines mörderischen Krieges gehörten.
 
Auf der Suche nach der Medi-Hexe entdeckte sie hinter einem Vorhang, der nicht ganz geschlossen war, die reglos auf einem Bett liegende Gestalt von Lavender Brown. Sie war entsetzlich blass und die ihr von Fenrir Greyback zugefügten furchtbaren Fleischwunden an ihren Oberarmen und der rechten Seite stachen deutlich sichtbar heraus. Hermione wandte sich erschauernd ab. Hier konnte sie nicht helfen.
 
Es dauerte nicht lange, bis sie Poppy Pomfrey gefunden hatte, die sich gerade um Padma Patil kümmerte. Padma schluchzte leise vor sich hin. Die Tränen, die ihre schmutzigen Wangen hinunter liefen, hinterließen dort helle Streifen. Sie hatte eine lange, unverkennbar von einem Fluch stammende Schnittwunde am Bein. Es blutete nur noch schwach aus der Wunde, sie war gesäubert und anscheinend auch bereits mit mehreren Heilsprüchen soweit versorgt worden, dass Padma keine Schmerzen mehr zu haben schien, doch stand sie immer noch unter Schock.
 
Poppy Pomfrey tätschelte ihre Hand. »Scht, Schätzchen, das wird wieder. Und ich verspreche Ihnen, es wird auch keine sichtbare Narbe zurückbleiben.« Damit wollte sie sich gerade wieder auf den Weg zum nächsten Patienten machen, als Hermione an ihre Seite huschte.
 
»Madame Pomfrey!« flüsterte Hermione nervös und griff nach ihrem Arm. »Bitte, da ist jemand, der ganz dringend Ihre Hilfe braucht.«
 
»Miss Granger, was ist denn los? Wo waren Sie? Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht, Kind«, prasselten mehrere Fragen gleichzeitig auf Hermione ein, während Madame Pomfrey sie erleichtert musterte, zum einen, da sie außer ein paar Kratzern in Hermiones Gesicht und an den Händen keine Verletzungen erkennen konnte und zum anderen, da sie nun wusste, dass ihre Sorgen unbegründet gewesen waren.
 
»Kommen Sie mit mir, es ist wirklich dringend«, bettelte Hermione.
 
Madame Pomfrey sah sie scharf an. »Also schön.« Sie wandte sich an Parvati Patil, die am Kopfende des Bettes ihrer Zwillingsschwester stand. »Miss Patil, würden Sie bitte darauf achten, dass Ihre Schwester nicht auf die glorreiche Idee kommt, sofort aufzustehen. Sie muss noch etwa zehn Minuten liegen bleiben, bis der Zauberspruch seine volle Wirkung entfaltet und die Wunde sich komplett geschlossen hat.« Mit diesen Worten folgte sie Hermione quer durch den Raum und sah diese verdutzt an, nachdem sie merkte, wohin sie sie führte. »Woher …?«
 
»Ich kenne das Zimmer, Madame Pomfrey. Schnell!«, gab Hermione leise zurück, ohne irgendwelche weiteren Erklärungen dazu abzugeben. Sie öffnete die Tür, schob Madame Pomfrey ohne ein weiteres Wort resolut hinein und schloss die Tür hinter sich.
 
»Aber, Kind, wer kann denn jetzt noch …?«, fragte Madame Pomfrey, kam jedoch nur bis zur Hälfte des Satzes, da ihr die Worte im Hals stecken blieben. »Severus!«, keuchte sie schockiert auf. Mit ein paar Schritten war sie an seinem Bett, zog ihren Zauberstab und warf nacheinander mehrere Diagnosezauber.
 
Hermione schaute auf die still vor ihr ausgestreckt liegende Gestalt ihres Professors. Er hatte sich nicht bewegt, seit sie das Zimmer verlassen hatte. Seine Gesichtsfarbe war noch bleicher als sonst, fast wächsern. Im Kontrast dazu stand sein rabenschwarzes Haar, welches die von geronnenem Blut bedeckten Wunden, die sich von seiner Kehle bis in seinen Nacken zogen, noch stärker hervortreten ließ. Sein Atem kam rasselnd; er schien nur schwer Luft zu bekommen und ein leichter Schweißfilm hatte sich auf seinem Gesicht gebildet, der zeigte, wie groß die Anstrengung für ihn war, am Leben zu bleiben.
 
»Bei Merlin, Junge, was haben die mit dir gemacht?« Es war eine rein rhetorische Frage voller Entsetzen, da sie ganz genau erkennen konnte, dass Severus Snape ihr nicht antworten würde. Hermione konnte regelrecht dabei zusehen, wie Madame Pomfrey ein dicker Kloß in die Kehle stieg und ihre Augen feucht wurden. Mit Staunen wurde für sie offensichtlich, dass die Matrone von Hogwarts diesen Mann wirklich mögen musste. »Severus … oh nein, Severus, du wirst dich nicht einfach so davonstehlen. Nicht so und nicht jetzt, und nicht solange ich es verhindern kann.« Sie drehte sich zu Hermione herum und sah sie fragend an. »Miss Granger, was haben Sie ihm verabreicht?«
 
Hermione war so tief in ihre eigenen Gedanken versunken gewesen, dass sie erst einen Moment brauchte, um zu realisieren, dass Madame Pomfrey ihr eine Frage gestellt hatte. »Ich habe ihm eine Phiole mit Blutbildungstrank und einen Stärkungstrank gegeben und …«, abrupt brach sie jedoch den Satz ab.
 
Innerhalb eines Sekundenbruchteils war sie gezwungen, sich zu einer Entscheidung durchzuringen, ob sie Madame Pomfrey jetzt oder lieber später davon berichten wollte, was sie getan hatte. >Wahrscheinlich wäre es für alle Beteiligten besser, diese Erklärung auf später zu verschieben — wenn überhaupt<, entschied Hermione auf der Stelle. Es würde schwer genug werden, Madame Pomfrey die ganze Wahrheit zu beichten — aber sie musste wohl davon erfahren. Madame Pomfrey sah sie bereits aus zusammengekniffenen Augen an, da Hermione nicht weitersprach.
 
»… und habe alles versucht, um ihn am Leben zu erhalten«, beendete Hermione schnell ihren Satz. Sie hoffte nur, dass Madame Pomfrey nach ihrem kleinen Fauxpas nicht allzu misstrauisch reagieren und keine vertiefenden Fragen in diese Richtung stellen würde. »Als ich in die Heulende Hütte zurückkehrte, hatte ich erwartet, einen Leichnam zu finden«, erzählte sie leise. »Ich wollte nicht, dass er … ganz allein … dort … liegt. Er hätte jedes Recht gehabt, mit unseren anderen Gefallenen aufgebahrt zu werden«, setzte sie beinahe trotzig hinzu.
 
»Vor mir brauchen Sie sich nicht zu rechtfertigen, Kind. Und andere haben kein Recht, Sie zu kritisieren.« Poppy Pomfrey legte ihr die Hand auf den Unterarm. »Ich bin der dankbarste Mensch auf Erden dafür, dass Sie mir meinen Jungen lebend zurückgebracht haben.«
 
Hermione warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Ihren … Jungen …? Aber …«
 
Poppy lächelte sanft. »Irgendwann werden Sie es verstehen. Doch Sie waren noch nicht mit Ihrer Erklärung fertig …«
 
»Er muss bereits eine Phiole mit Antivenin getrunken haben, bevor er gezwungenermaßen das Schloss verließ und in der Heulenden Hütte auf V-Voldemort traf. Ich habe die leere Phiole auf dem Fußboden gefunden. Sie muss ihm kurz nach Naginis Attacke aus der Robe gefallen sein«, setzte sie als weitere Erklärung hinzu. »Wir haben sie, als Harry mit ihm sprach und Professor Snape ihm seine Erinnerungen gab, nicht bemerkt«, murmelte sie mit gesenktem Blick mehr zu sich selbst, als dass es an Poppy Pomfrey gerichtet war.
 
»Sie sind wirklich eine clevere Hexe«, stellte Madame Pomfrey anerkennend fest, drehte sich dann jedoch wieder zu Severus Snape herum und begann damit, vorsichtig den ersten Knopf seines Gehrocks zu öffnen.
 
»Nicht clever genug«, erwiderte Hermione leise. »Wenn ich wirklich so brillant wäre, wie alle sagen, hätte ich die Phiole bemerken müssen, als er uns die Erinnerungen gab. Ich hätte damit rechnen müssen, dass er sich auch auf diese Möglichkeit vorbereitet haben könnte. Dass er in Betracht gezogen hat, dass Nagini ihn auf Voldemorts Befehl hin angreifen könnte. Wir haben ihn einfach so zurückgelassen, mutterseelenallein — zum Sterben. Ich fühle mich einfach nur schuldig.« Sie klang traurig und enttäuscht.
 
»Nein, Miss Granger, Sie brauchen sich nicht schuldig zu fühlen. Ganz im Gegenteil, Sie waren die Einzige, die zurückgegangen ist. Die Einzige, die an ihn gedacht hat«, widersprach Madame Pomfrey ihr energisch.
 
»Trotzdem. Es tut mir so leid.«
 
Inzwischen hatte Madame Pomfrey seinen Oberkörper entkleidet und Hermione konnte die leichte Behaarung auf seinem muskulösen Brustkorb erkennen. Dort, wo sich Nagini um seinen Körper geschlungen hatte, um ihre Beute festzuhalten, während sie zubiss, waren außerdem riesige Blutergüsse und Quetschungen zu sehen.
 
Hermione erschauerte. Sie hatte Nagini niemals selbst lebend gesehen — erst als sie tot zu Nevilles Füßen gelegen hatte — aber sie wusste aus Harrys Erzählungen, dass sie vermutlich eine magische Kreuzung aus Würge- und Giftschlange gewesen war. Ihre Methode des Beutefangs schien, wenn man die Verletzungen von Professor Snape in Betracht zog, eine Mischung aus beiden Schlangenarten zu beinhalten.
 
»Vier Rippen sind gebrochen, eine davon ist haarscharf an der Lunge vorbeigegangen, der linke Unterarm ist ebenfalls angebrochen«, stellte Madame Pomfrey die weiteren Diagnosen. »Von den ganzen sonstigen Riss- und Quetschwunden ‘mal ganz abgesehen.«
 
Poppy Pomfrey schwenkte ihren Zauberstab und murmelte dabei mehrere Heilungssprüche. Hermione hörte, wie Knochen leise knackten, während sie sich in die richtige Position schoben, und beobachtete, wie sich die Riss- und Schnittwunden in der Haut schlossen und sich die Unterblutungen ganz langsam verkleinerten, bis sie vollkommen verschwunden waren und nichts als einen glatten, beinahe samtig aussehenden Teint zurückließen. Und sie hörte seinen ersten, wirklich kräftigeren Atemzug.
 
Madame Pomfrey lächelte mit dankbarem Blick leise in sich hinein. Dann beugte sie sich jedoch mit angespanntem Gesichtsausdruck hinunter, um die entsetzlichen Wunden an seinem Hals näher zu untersuchen. »Tripsy!« Sie drehte sich herum.
 
»Madame Pomfrey hat nach Tripsy verlangt?« Mit einem leisen Plopp war eine Hauselfe appariert, die sich tief vor der Matrone von Hogwarts verbeugte.
 
»Ich benötige eine Schüssel mit warmem Wasser und saubere weiche Tücher, Tripsy«, befahl Poppy bestimmt, aber freundlich.
 
»Sehr wohl, Madame.« Eine angedeutete Verbeugung und ein leiser Plopp folgten, und die beiden waren wieder allein.
 
Doch Poppy hatte sich bereits wieder zu Severus heruntergebeugt. »Das hier sieht weitaus schlimmer aus, als ich mir vorgestellt hatte. Wir müssen erst einmal das geronnene Blut entfernen, damit ich die Bisswunden richtig behandeln kann. Ich kann nur hoffen, dass wenigstens seine Stimmbänder nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden.« Sie seufzte bei diesen Worten tief auf.
 
Die kleine Hauselfe kehrte mit einer Schüssel und Tüchern zurück. Madame Pomfrey prüfte die Temperatur des Wassers, tauchte das erste Tuch hinein und begann sehr vorsichtig, das geronnene Blut im Nacken und an der Kehle zu entfernen.
 
»Sie säubern die Wunde auf Muggel-Art?«, fragte Hermione erstaunt.
 
Ohne sich umzublicken antwortete Madame Pomfrey: »Die Heiler im St. Mungo’s haben damals bei Arthur Weasley ziemlich schlechte Erfahrungen damit gemacht, die durch Naginis Biss verursachte Verletzung mit Zaubersprüchen zu reinigen oder zu versorgen. Erinnern Sie sich noch? Arthur konnte damals einen der Heiler sogar dazu überreden, die Wunde nach Muggel-Art zu … nähen.« Sie schauderte sichtbar. »Severus hat seinerzeit Tag und Nacht gearbeitet, um ein Antivenin zu finden.«
 
»Dann hat Professor Snape …?«
 
»Aber, Kindchen, was dachten Sie denn, wo das Gegengift herkam?« Sie schüttelte nachsichtig ihren Kopf, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. »Severus Snape ist einer der bedeutendsten lebenden Meister der Zaubertränke, und das nicht nur hier in Großbritannien. Was die Wenigsten wissen, ist, dass er den von Damocles Belby geschaffenen Wolfsbane-Trank zu seiner heutigen Zusammensetzung weiterentwickelt hat. Nur ein einziger Tränkebrauer in Großbritannien außer ihm — ein Heiler im St. Mungo’s — ist überhaupt in der Lage, diesen Zaubertrank herzustellen.«
 
»Das stand in keinem der Bücher, die ich gelesen habe«, gab Hermione leise zu.
 
»Ich kann nicht behaupten, dass ich darüber sonderlich überrascht bin«, antwortete Madame Pomfrey.
 
Niemals zuvor hatte Hermione in der Stimme der Matrone von Hogwarts einen dermaßen sarkastischen Unterton gehört. Sie kannte sie nur als gleichmäßig freundlich und immer besorgt um ihre Patienten.
 
»Merlin sei dank, mein armer Junge, ich glaube, dieses verdammte Biest hat deinen Kehlkopf um Millimeter verfehlt. Du wirst wieder sprechen können, auch wenn es am Anfang trotz der Schmerztränke sehr schmerzhaft sein wird.« Sanft und liebevoll klang die Stimme auf einmal, ganz anders als noch vor wenigen Sekunden. »Bleiben Sie bitte bei ihm, Miss Granger, ich muss ein paar Tränke holen«, bat Poppy Pomfrey und wuselte, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, aus dem Zimmer.
 
Hermione stand ganz still an seinem Bett und sah auf die reglose Gestalt hinunter, die vor ihr lag. Doch, sie fühlte sich schuldig, auch wenn Madame Pomfrey vorhin ihre Schuldgefühle mit ein paar wenigen Worten einfach so zur Seite geschoben hatte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie Harrys Aussage, er sei tot, nicht noch einmal selbst überprüft hatte. Und es bedrückte sie noch mehr, seitdem sie einige wenige neue Informationen über ihren ehemaligen Professor erhalten hatte.
 
Das rasselnde Atemgeräusch der letzten halben Stunde hatte sich nun in ein stilles, ruhiges Heben und Senken seines Brustkorbes verwandelt, als ob die Schmerzen nachgelassen hätten. Seine Haut war immer noch sehr blass, wobei Hermione vermutete, dass dies seiner normalen Hautfarbe entsprach. Die leichte Brustbehaarung setzte sich über den flachen Bauch hinunter fort, wo sie sich verstärkte, um im Bund seiner schwarzen Hose zu verschwinden. Über seinen Brustkorb verliefen viele sich kreuzende weiße Linien, die davon zeugten, wie oft er irgendwelchen brutalen Flüchen ausgesetzt worden war. Hermione konnte nur erahnen, dass sein Rücken ebenso zugerichtet war. Einige dieser Linien sahen nicht sonderlich alt aus. Wie viel Schmerzen musste er in seinem Leben schon ertragen haben, um derartig gezeichnet zu sein. Sie war versucht, die Hand nach ihm auszustrecken, als sie das Klicken einer sich öffnenden Tür hörte.
 
Madame Pomfrey kehrte mit mehreren Zaubertränken zurück und unterbrach damit Hermiones Gedanken. »So, mein lieber Junge, gleich wird es dir besser gehen«, sagte sie sanft und begann damit, ihm die Tränke vorsichtig einzuflößen.
 
Noch einmal konnte Hermione beobachten, wie unglaublich sanft und liebevoll die Matrone von Hogwarts mit dem gefürchtetsten und von den meisten Schülern wirklich gehassten Professor von Hogwarts umging. In diesem Moment wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass Poppy Pomfrey diesen Mann schon seit vielen Jahren kennen musste — wahrscheinlich seit seinem elften Lebensjahr — und dass sie ihn vermutlich schon viel zu häufig in einem gesundheitlichen Zustand gesehen haben musste, der jedem anderen das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. Und trotz allem, was andere Menschen über ihn dachten oder sagten, musste sie ihn tief ins Herz geschlossen haben, wie Hermione an ihrem sanften Umgang mit ihm erkannte. Ihr wurde ebenfalls klar, dass Madame Pomfrey ihn wohl in der Vergangenheit bereits oft dann zusammengeflickt hatte, wenn er nach den Todessertreffen nach Hogwarts zurückgekehrt war, physisch gezeichnet von Folter und psychisch unter dem Eindruck von den Dingen, die er gesehen oder selbst getan haben musste, während er die wahnsinnigen Befehle eines Meisters befolgte, den er abgrundtief hasste.
 
Die Finger seiner rechten Hand strichen über die Decke und ein leises Stöhnen entrang sich seiner Brust. Hermione bewegte sich rückwärts vom Bett fort, bis sie mit ihrem Oberschenkel gegen den Rand des hinter ihr stehenden Bettes stieß. Madame Pomfrey warf ihr einen verwirrten Blick zu.
 
Hermione schaute unsicher von ihrem Professor zu Madame Pomfrey. »Ich … ich möchte …«, begann sie, wusste jedoch nicht, wie sie ihrer Bitte am besten Ausdruck verleihen konnte.
 
»Was haben Sie auf dem Herzen, Miss Granger?«, fragte Poppy Pomfrey.
 
»Ich … möchte … Sie … bitten, Professor-Snape-nichts-darüber-zu-sagen, wer-ihn-hierher-gebracht-hat«, schaffte es Hermione, ihren Satz ganz schnell herunterzuleiern. In ihrem Hinterstübchen fühlte sie die Erinnerung an Harry oder Ron aufsteigen, die auf diese Art und Weise reagierten, wenn die beiden unter einem schlechten Gewissen litten — was leider sehr selten der Fall war — oder irgendetwas verbergen wollten — wie so häufig.
 
»Wie bitte?«
 
»Ich möchte Sie bitten, Professor Snape nichts darüber zu sagen, wer ihn hierher gebracht hat oder was derjenige in der Heulenden Hütte unternommen hat«, antwortete Hermione nun noch einmal langsam. Ihr war absolut nicht wohl dabei, aber im Moment sah sie keine andere Lösung für ihr Problem.
 
»Das kann nicht Ihr Ernst sein, Miss Granger!« Madame Pomfrey sah sie ungläubig an. »Ich soll Professor Snape nicht sagen, dass Sie sein Leben gerettet haben? Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«
 
»Doch, Madame Pomfrey. Ich möchte nicht, dass er davon erfährt.« Hermione fühlte sich immer mehr in die Enge getrieben. Sie hatte verdammt gute Gründe dafür, Stillschweigen bewahren zu wollen. Und gerade einen dieser Gründe wollte sie Madame Pomfrey auf keinen Fall verraten.
 
»Aber, warum denn nicht, Kind?«
 
Hermione verlagerte unbehaglich ihr Gewicht von einem Bein auf das andere und wieder zurück. Sie entschied sich dafür, Madame Pomfrey einen Teil der Wahrheit zu offenbaren. »Vielleicht… ich weiß nicht, inwieweit Sie es wissen, wie viel Sie … davon mitbekommen haben, aber … er hat mich noch nie … sonderlich gemocht. Für ihn bin ich immer nur … Miss-know-it-all gewesen, eine lästige Besserwisserin, noch dazu aus Gryffindor, jemand, der ständig … mit der Hand in der Luft herumfuchtelt, der ihm … furchtbar auf die Nerven geht«, gab sie zögernd zur Antwort. »Ich glaube, dass er … die Umstände nur schwer akzeptieren könnte und ich möchte ihn nicht in die … Verlegenheit bringen, mit dieser Tatsache umgehen zu müssen.«
 
Madame Pomfreys Augenbrauen waren während Hermiones Erklärungen immer weiter in die Höhe gewandert. »Wie können Sie so etwas auch nur denken, geschweige denn aussprechen, Hermione?«, fragte sie fassungslos, wobei sie in ihrer Erschütterung nicht einmal merkte, dass sie eine Schülerin mit dem Vornamen ansprach.
 
»Er hat mir all die Jahre genau dieses Gefühl vermittelt«, sagte Hermione leise und wandte ihren Blick wieder Professor Snape zu, dessen Augen sich unter den geschlossenen Lidern ruhelos bewegten. »Wenn ich nicht über einige Dinge anders gedacht hätte als andere, hätte ich bis vor ein paar Stunden sogar geglaubt, dass er mich ohne zu zögern als ‘Schlammblut’ bezeichnen würde.«
 
»Oh, Merlin, so etwas würde er niemals tun.« >Niemals wieder<, dachte Madame Pomfrey still für sich, >diese Lektion hat er auf die härteste Tour gelernt, die einem lebenden Wesen widerfahren kann.< Laut sagte sie jedoch: »Nein, Miss Granger, das ist nicht seine Art. Er mag Ihnen in all Ihren Jahren in Hogwarts sicherlich schwer zugesetzt haben, aber ich bin davon überzeugt, dass er tief in seinem Inneren genau wusste, mit was für einem Menschen er es zu tun hat.«
 
»Nun, das hat er gut verborgen—«, erklärte sie sarkastisch.
 
»Hmpf—«
 
»—ja, ich weiß«, sie hielt abwehrend die Hände hoch, als Madame Pomfrey zu sprechen ansetzen wollte, »es war Teil seiner Aufgabe.« Sie nickte leicht, wie um sich selbst von der Richtigkeit ihrer eigenen Argumentation zu überzeugen. Ganz leise, als ob sie dies eigentlich nur sich selbst gegenüber zugeben wolle, setzte sie traurig und mit gesenkten Augen hinzu: »Aber es hat trotzdem weh getan.«
 
Einen Augenblick schien die Zeit still zu stehen. »Ich weiß, Kleines«, gab Poppy Pomfrey dann bedauernd zu. Wie zum Trost legte sie Hermione die Hand auf die Schulter und drückte leicht zu.
 
»Bitte, Madame Pomfrey, sagen Sie ihm nichts. Bitte«, flehte sie regelrecht.
 
Die Matrone von Hogwarts seufzte schwer. »Also gut. Ich werde sehen, was ich tun kann, Kind.«
 
»Danke«, kam die gehauchte Antwort. Hermione konnte spüren, wie eine riesige Woge der Erleichterung sie überschwemmte.
 
Madame Pomfreys Blick folgte ihrem, als Hermione einmal mehr zu ihrem Professor hinübersah. Jetzt, da sie für den Moment eine große Sorge weniger hatte — zumindest für eine Weile, wie sie hoffte — begann sich ihr Verstand wieder anderen, wichtigeren Dingen zuzuwenden. Sie wurde nicht umsonst als das Gehirn des Goldenen Trios bezeichnet. Ein Gedanke formte sich, der sich schon eine ganze Weile hartnäckig in ihrem Kopf hielt und sie unruhig herumzappeln ließ. »Wir müssen etwas unternehmen!«
 
Völlig irritiert sah Madame Pomfrey Hermione an. »Wovon reden Sie?«
 
»Niemand außer uns beiden weiß im Moment, dass er noch am Leben ist und sich in Hogwarts befindet …«, begann sie diesen Gedanken zu formulieren. »… Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass wir diese Tatsache lange geheim halten können. Sobald das Ministerium davon Wind bekommt, wird es hier von Auroren nur so wimmeln. Wir müssen seine Sicherheit garantieren, müssen dafür sorgen, dass sowohl das Ministerium als auch die Öffentlichkeit von seiner wahren Loyalität unterrichtet wird. Das Letzte, was ich möchte, ist, dass man ihn einfach nach Azkaban steckt.«
 
Das Gesicht von Madame Pomfrey hatte bei Hermiones Worten alle Farbe verloren. »Um Merlins Willen, warum habe ich nicht so weit gedacht? Nicht Azkaban! Nicht Severus!«
 
»Ich denke, Sie waren mit anderen Dingen vollkommen ausgelastet.« Hermione blickte demonstrativ erst auf das Bett, in dem Professor Snape lag, und dann auf die Tür, hinter der noch immer gedämpftes Stimmengewirr zu hören war. Allerdings konnte man bereits erkennen, dass es hinter ihrer Stirn zu arbeiten begonnen hatte. »Vielleicht … vielleicht gibt es da eine Möglichkeit … Harry hat sie schon einmal erfolgreich überreden können…«, sagte sie gedankenverloren.
 
Poppy Pomfrey schaute sie kurz fragend an, doch als sie keine weitere Erklärung bekam, begann sie, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Sie überraschte Hermione, als sie dann sagte: »Wenn es uns gelingen würde, Kingsley Shacklebolt auf unsere Seite zu bringen, glaube ich, dass wir eine gute Chance hätten.«
 
»Shacklebolt …?« Hermione runzelte die Stirn. »Sie glauben, dass er vertrauenswürdig ist?«
 
Pomfrey nickte, nach einem kurzen Zögern.
 
»Dann wäre auch seine Hilfe eine aussichtsreiche Möglichkeit. Ja…«, Hermione nickte langsam, während sie bereits die Möglichkeit in ihrem Kopf durchspielte. Beinahe wäre ihr deshalb entgangen, dass Madame Pomfrey den Faden bereits weiterspann.
 
»Ja, und an Shacklebolt kommen Sie am Besten über Professor Dumbledore heran, er ist schließlich schon lange mit ihm bekannt.«
 
»Da mögen Sie Recht haben. Er hat, so viel ich bei den Ordenstreffen mitbekommen habe, den engsten Kontakt zu ihm gehabt. Das würde allerdings bedeuten, dass ich irgendwie in das Büro des Schulleiters gelangen muss, um mit ihm zu reden«, griff sie den Gedanken auf.
 
»Ich kann kurzzeitig das Flohnetz zwischen meinem Büro hier im Krankenflügel und dem Büro des Schulleiters aktivieren.«
 
Hermione strahlte das erste Mal seit langer Zeit wieder. »Genau das, was ich brauche. Allerdings muss ich vorher noch etwas erledigen.«
 
Sie warf Madame Pomfrey einen nachdenklichen Blick zu. Nie hätte sie geglaubt, ausgerechnet in der Matrone von Hogwarts eine wirkliche Verbündete zu finden. Sie war ihre einzige Hoffnung gewesen, der erste Mensch, der ihr in den Sinn gekommen war, als sie weitere Hilfe für Severus Snape brauchte. Sie selbst kannte nur eine Grundausstattung an Heilsprüchen, wenn auch viel mehr, als in Hogwarts gelehrt wurde — nämlich auch die, die sie sich selbst aus Büchern für den Kampf gegen Voldemort zusammengesucht hatte.
 
»Ich möchte auch Harry einweihen. Er ist der Einzige, der Professor Snapes Erinnerungen im Denkarium gesehen hat, und ich denke, dass er seine Meinung über ihn grundlegend revidiert hat. Ich komme zurück, sobald ich mit ihm gesprochen habe.«
 
»Nein, Miss Granger, zuerst werden Sie wenigstens ein paar Stunden schlafen. Severus hat nichts davon, wenn Sie später mittendrin zusammenbrechen«, gab Madame Pomfrey mahnend zu bedenken.
 
Hermione nickte zustimmend, obwohl sie in Gedanken schon ihren nächsten Schritt plante. Aber zuvor musste sie noch etwas anderes erledigen. Sie wollte sich unbedingt noch einmal vergewissern, ob sie richtig in Erinnerung hatte, was dieser Zauberspruch im Einzelnen bewirkte, obwohl es eigentlich längst zu spät dafür war. Aber sie wollte vorbereitet sein — auf was auch immer.
 
 
 
Fortsetzung folgt …
 
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