AleaThoron
   
  FairyCat's Potions and Passions
  Kapitel 16 — Tatsachen und Emotionen
 
DISCLAIMER: Ich verdiene kein Geld damit, habe jedoch genau den unglaublichen Spaß, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Alle agierenden Personen gehören JKR. Ich habe sie mir heimlich ausgeborgt, verspreche aber, gut auf sie aufzupassen und sie wohlbehalten und an Erfahrungen reicher und gereifter wieder zurückzugeben.
 
Beta: Deep Water — Mein ganz spezieller Dank gilt meinem Beta, der eigentlich mein Vater ist, und der mich mit »Und wann schreibst Du endlich Deine eigene Geschichte?« erst dazu gebracht hat, diese Story Wirklichkeit werden zu lassen.
 
A/A: Da das letzte Kapitel diese gemeine wissenschaftliche Abhandlung in Form eines 'Buches' enthielt und mir durchaus bewusst ist, dass solche Dinge recht langatmig werden können und nicht jedermanns Sache sind, möchte ich eine kurze Zusammenfassung zum Inhalt des Artikels geben:
Die Wirkung des Fluches auf das 'Opfer' ist abhängig von der Motivation desjenigen, der den Fluch wirft. Als Ergebnis entsteht zwischen 'Täter' und 'Opfer' immer eine unlösbare mentale Verbindung, über die der 'Täter' auf das 'Opfer' einwirken kann. (Übersetzung des Titels der Geschichte "Coniunctio perpetua" = unlösbare Verbindung)
Mit Hilfe dieses Fluchs ist es möglich, einen anderen Menschen bis hin zur Sklaverei zu knechten, seine Liebe zu erzwingen oder ihn in die Knie zu zwingen, ihn in irgendeiner Form zu beherrschen und seinen Willen zu brechen oder sein Denken und seine Handlungen zu manipulieren. Das alles könnte der Fluch, wenn die Motivation des 'Täters' darauf ausgerichtet wäre.
Hermione wollte in der Heulenden Hütte ausschließlich Severus' Leben retten, sie handelte also wohlmeinend und in guter Absicht. Als Nebeneffekt kann es zu einer gewisse emotionalen Anbindung Beider aneinander kommen, die sich unter anderem darin äußert, dass ein merkliches Eintauchen in die Gefühlswelt des Anderen möglich ist, man dem Geretteten bzw. dem Lebensretter also unbewusst emotional näher kommt als irgendeiner anderen Person. Die Verbindung bleibt unlösbar, doch die Auswirkungen des Fluchs auf Severus sind positiv.
Der Fluch hat eine einzige unsichtbare Tätowierung auf ihren Schulterblättern hinterlassen, deshalb auch die margentafarbenen Runen-Zeichen, die mit Hilfe des Sichtbarkeitszauber für eine Stunde wahrnehmbar gemacht werden können..
Auf Severus Schulterblatt ist jedoch eine weitere Tätowierung aufgetaucht, nachdem Hermione den Sichtbarkeitszauber geworfen hat, eine Tätowierung, die dort eigentlich nicht sein dürfte. Hermione war sich dagegen nicht sicher, was dieser merkwürdige Schatten neben dem margentafarbenen Runen-Zeichen auf ihrem Schulterblatt bedeuten könnte oder ob dieser Schatten nur eine optische Täuschung war.
 
 
Coniunctio perpetua byAlea Thoron
 
 
Kapitel 16 — Tatsachen und Emotionen
 
Die nächsten Tage waren mit komplizierten Restaurationsarbeiten an den durch die Todesser zum Teil schwer beschädigten Büchern schnell vergangen. Severus und Hermione hatten in diesen Tagen eine angenehme Routine der Zusammenarbeit entwickelt, und Hermione genoss Severus’ Gesellschaft mit jedem Tag mehr. Nicht nur, dass sie hier in der Bibliothek gemeinsam arbeiteten, nein, anders als in den Ferien damals, als zwischen ihnen nur ein einvernehmliches Schweigen geherrscht hatte, saßen sie jetzt jeden Abend noch bis spät in die Nacht zusammen und diskutierten über viele Themen. Es war inzwischen für sie fast zu einem Ritual geworden, die Abende auf diese Weise ausklingen zu lassen.
 
Nicht nur einmal hatte Hermione überlegt, ob sie Severus von ihrer merkwürdigen Entdeckung berichten sollte. Am Anfang hatten sie das Wissen um die beiden Zeichen auf ihrem Schulterblatt nur irritiert. Sie hatte einfach keine plausible Erklärung dafür, noch dazu, wo das zweite Mal so schwach ausgebildet war, dass es kaum zu erkennen gewesen war. Irgendwann zwischendurch glaubte sie sogar, dass sie doch einer optischen Täuschung aufgesessen sein musste. Doch dann, nach einer gewissen Zeit, war sie sich wiederum sicher, dass es weder ein Schatten noch eine Einbildung gewesen war. Das zweite Runen-Zeichen hatte eindeutig existiert. Irgendetwas musste in der Heulenden Hütte ganz schrecklich schief gelaufen sein. Und das konnte nur ganz allein ihre Schuld sein.
 
Sie hatte seitdem Stunden über Stunden nachts grübelnd in ihrem Bett gelegen und sich die Geschehnisse in der Heulenden Hütte in jeder Einzelheit wieder und wieder in Erinnerung gerufen. Nichts jedoch deutete darauf hin, dass sie bei der Zauberstab-Bewegung oder der Aussprache des Zauberspruchs irgendeinen Fehler begangen hatte oder aus Versehen den Zauberspruch doppelt geworfen haben könnte. Und obwohl dieses Etwas auf ihrem Schulterblatt nur sehr schwach ausgebildet gewesen war, war sie sich absolut sicher, dass die Inschrift anders ausgesehen hatte als bei der magentafarbenen Tätowierung.
 
Trotzdem hatte sie sich dafür entschieden, Severus nichts davon zu erzählen. Erst einmal wollte sie selbst Nachforschungen darüber anstellen, ob es irgendeine andere Möglichkeit gab, weshalb genau an dieser Stelle ein weiteres Zeichen erscheinen könnte. Falls sie keine Erklärung finden sollte, war danach immer noch Zeit genug, Severus von ihrer Entdeckung in Kenntnis zu setzen. Allerdings hätte sie nur zu gern das Experiment wiederholt, doch dadurch würde sie Severus direkt mit der Nase auf dieses Problem stoßen, und das musste im Moment wirklich nicht sein. Sie fühlte sich bereits jetzt schuldig genug, wenn sie an seinen veränderten Patronus dachte.
 
Der Patronus … Erst als sie an diesem Abend allein in ihrem Schlafzimmer im Bett lag, erlaubte sie sich, sich daran zu erinnern, dass sich nach seiner Aussage neben der Farbe der Zauberstab-Funken auch sein Patronus verändert hatte. Und etwas war ihr dabei besonders ans Herz gegangen: Der tiefe Schmerz in seinen Augen. Dieser Schmerz war vermutlich ihre Schuld, oder eindeutig die Schuld des Coniunctio perpetua, wenn man es genauer betrachtete, auch wenn dies niemals ihre Absicht gewesen war. Doch bei allem angebrachten oder unangebrachten Schuldbewusstsein fragte sie sich nicht zum ersten Mal insgeheim, welche Gestalt sein neuer Patronus angenommen hatte.
 
An diesem Abend jedoch erstarrte sie förmlich; sie hatte das Gefühl, als griffe eine kalte Hand nach ihrem Herzen. >Was wäre, wenn nicht nur sein, sondern auch mein Patronus durch den Zauber die Gestalt gewechselt hätte.< Sie dachte an den kleinen verspielten Otter, der sie seit ihrem fünften Schuljahr begleitet hatte. Er war ihre mentale Verbindung zu Ottery St. Catchpole und damit zu Ron, wie sie wusste. Doch nach allem, was in den letzten Wochen und Monaten geschehen war und ganz besonders nach dem, wie Ron auf das Überleben von Professor Snape und ihre eigene Rolle dabei reagiert hatte, war sie sich nicht mehr so sicher, dass diese Verbindung überhaupt noch bestand und weiterhin bestehen sollte.
 
Sie griff hinüber auf ihren Nachttisch, nahm den dort abgelegten Zauberstab und wog ihn abschätzend in der Hand. Nach einem kurzen Moment den Zögerns schallte ihr entschlossenes»Expecto Patronum!« laut durch den Raum. Augenblicklich schoß silberner Nebel aus ihrem Zauberstab, der sich jedoch sofort zu einer Gestalt verdichtete — eine Gestalt, die keinerlei Übereinstimmung mit dem vertrauten flinken, verspielten Otter hatte.
 
»Oh!«, war Hermiones erste verblüffte Reaktion, während sie den Luchs musterte, der sie mit klugen schwarzen Augen neugierig anzublicken schien.
 
*'*'*'*'*
 
Die beiden hatten großartige Arbeit geleistet, wie Harry am Samstag Mittag bei einem heimlichen Besuch in der Bibliothek feststellen konnte, als die drei anderen noch beim Mittagessen saßen. Ginny war erst an diesem Morgen erneut durch das kurzzeitig von Harry aktivierte Flohnetz herübergekommen, nachdem sie ihrer Mutter tagelang in den Ohren gelegen hatte, sie wenigsten zum Wochenende gehen zu lassen.
 
Kreacher hatte sich schon am Vormittag regelrecht in der Küche verbarrikadiert, um Vorbereitungen für die Zusammenkunft des Ordens zu treffen. Er hatte sein Reich mit Zähnen und Klauen verteidigt und war dabei auch nicht davor zurückgeschreckt, mit einem verschmitzten Lächeln jeden schon an der Küchentür zu verscheuchen, der auch nur den Versuch unternahm, einen noch so kurzen Blick auf die von ihm zubereiteten Köstlichkeiten zu erhaschen. Er war sogar so weit gegangen, das Mittagessen im Wohnzimmer zu servieren.
 
Harry hatte — mit Kreachers tatkräftiger Mithilfe — das ehemalige Speisezimmer in ein urgemütliches Wohnzimmer verwandelt. Vor zwei Tagen hatte Harry entschieden, dass er das Herrenhaus am Grimmauldplatz auf jeden Fall behalten würde. Auch wenn Sirius’ Verlust immer noch höllisch schmerzte und ihn alles hier an seinen Paten erinnerte, wollte er auf das Zuhause nicht mehr verzichten. Aus diesem Grund hatte er gestern erstmals in Ruhe eine Erkundungstour durch das gesamte Haus gemacht und es vom Keller bis zum Dachboden inspiziert.
 
Nun hatte er den nächsten Schritt in Angriff genommen. Kreacher, der wie üblich in der Küche herumwerkelte, hatte überrascht von seiner Arbeit aufgesehen, als Harry unverhofft in die Küche gekommen war. ‘Warum hat Master Harry nicht einfach nach Kreacher gerufen?’, hatte der alte Hauself verwundert gefragt, kurz nachdem er Harry entdeckt hatte. In der nächsten halben Stunde jedoch hatte Kreacher voller Staunen und mit immer größer werdenden Augen Harrys Zukunftsplänen für dieses Anwesen und für seine Bewohner gelauscht.
 
Dann waren sie gemeinsam auf den Speicher gestiegen. Unter mit dicken Spinnweben überwucherten Tüchern waren antike Kostbarkeiten verborgen, die Harrys Aufmerksamkeit bei seinem Rundgang entgangen waren. Einen Teil von ihnen brachten sie in das Speisezimmer, das sich ganz langsam zu einem sehr geschmackvollen und gemütlichen Wohnzimmer wandelte. Nichts erinnerte in der Eingangshalle oder dem neu gestalteten Wohnzimmer mehr daran, dass dieses Herrenhaus einst Anhängern Dunkler Magie gehört hatte. Nichts — außer dem Portrait von Walburga Black, das niemand von ihnen — auch nicht Severus Snape — hatte entfernen oder zum Schweigen bringen können.
 
Seitdem sie vor knapp einer Woche an den Grimmauldplatz zurückgekehrt waren, hatte eine Idee in Harrys Kopf herumgespukt, die er in die Tat umsetzte, sobald die Eingangshalle und das neue Wohnzimmer fertig waren. Er hatte einen Teil des hinteren Raumes in der Küche mit einem der Fenster von der restlichen Küche abgeteilt, indem er magisch neue Wände hochzog, und diesen Raum als Wohnbereich für Kreacher zurechtgemacht. Dabei war er von Hermione überrascht worden, die ihn einfach nur sprachlos anstarrte und dann sofort ‘die Ärmel hochkrempelte’, um ihm zu helfen.
 
Kreacher hatte nicht fassen können, warum sein Master Harry und seine kleine Missy sich um — wie er sagte — eine ‘nichtswürdige Kreatur’ wie ihn kümmern würden, war jedoch nach viel Überredung von beiden und unter enorm tiefen Bücklingen und Dankesworten aus seinem winzigen Schränkchen unter dem Küchenboiler in sein neues Reich mit einem richtigen Bett eingezogen.
 
*'*'*'*'*
 
Es war später Nachmittag, als an der Haustür ein lautes Klopfen zu vernehmen war. Harry hatte sich schon halb erhoben, als ihm einfiel, dass er besser nicht zur Tür gehen sollte, wenn er sich nicht den gerechten Zorn seines Hauselfen zuziehen wollte. Also ließ er sich wieder auf die Couch zurückplumpsen und legte den Arm erneut um Ginnys Schulter, die sich sofort wieder eng an ihn kuschelte. Kurze Zeit später hörte er in der Eingangshalle, die inzwischen im neuen alten Glanz erstrahlte, die Stimmen von Poppy Pomfrey und Professor McGonagall, was die beiden Verliebten erneut dazu brachte, wie ertappte Sünder auseinander zu fahren.
 
Die Wohnzimmertür wurde geöffnet und Kreachers Stimme war zu vernehmen: »… nein, Professor McGonagall, die Küche ist im Moment eine verbotene Zone. Master Harry ist mit Miss Weasley im Wohnzimmer.« Unter vielen Verbeugungen schloss er augenblicklich und für seine Verhältnisse ziemlich energisch die Tür hinter ihnen, sobald sie das Wohnzimmer betreten hatten.
 
»Guten Tag, Mister Potter, Miss Weasley. Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich viel zu früh und in Begleitung von Madame Pomfrey komme, obwohl das Treffen erst für heute Abend angesetzt ist.« Professor McGonagall kam um den Tisch herum und nahm Platz, nachdem Harry die beiden durch eine auffordernde Geste dazu eingeladen hatte. Madame Pomfrey blieb allerdings stehen, und sie machte auf Harry den Eindruck, als ob sie sich überhaupt nicht hier im Wohnzimmer aufhalten wolle und sich nur auf dem Sprung befände.
 
Gleich darauf bestätigte sich dieser Eindruck, als Poppy Pomfrey von Ginny zu Harry schaute und bemerkte: »Ich bin eigentlich nur mitgekommen, weil ich nach Severus sehen möchte. Sein Verband muss dringend gewechselt werden und ich möchte mich davon überzeugen, dass seine Wunden richtig verheilen.«
 
Harry versuchte, den leicht amüsierten Gesichtsausdruck zu unterdrücken, der sich ohne sein Zutun in seine Züge schlich, was ihm jedoch nur unzureichend gelang. »Professor Snape ist zusammen mit Hermione oben in der Bibliothek beschäftigt. Sie brauchen sich um seine Gesundheit keine Sorgen zu machen. Hermione hat sich zuletzt gestern um seine Wunden und die Verbände gekümmert. Sie sagte, der Heilungsprozess mache sehr gute Fortschritte.«
 
Madame Pomfrey sah erst Harry und dann Minerva McGonagall verblüfft an. »Dann sollte ich mir wohl eher um Miss Grangers Gesundheit Sorgen machen, denn ich kann mir kaum vorstellen, dass er sie freiwillig und ohne heftige Gegenwehr an sich herangelassen hat?«
 
Nun konnte Harry sich nicht mehr beherrschen und begann in der Erinnerung an das Geschehene leise zu lachen. »Oh, keine Sorge, es geht ihr gut! Er versuchte natürlich mit all seiner Autorität und seinem berühmt-berüchtigten Sarkasmus zu verhindern, dass sie auch nur einen flüchtigen Blick auf seine Bisswunden erhascht. Zu seiner Ehrenrettung muss ich jedoch anmerken, dass er die echte Hermione bis dahin nicht gekannt hat. Er konnte nicht ahnen, dass sein — entschuldigen Sie, Professor — ‘Sturkopf’ nichts im Vergleich zu Hermiones Halsstarrigkeit ist, wenn sie einen guten Grund dafür zu haben glaubt. Die beiden müssen sich eine heftige Auseinandersetzung geliefert haben, in deren Verlauf regelrecht die Fetzen geflogen sein müssen — zumindest habe ich diese spärlichen Informationen später mit Mühe aus Hermione herausgequetscht.«
 
Er hielt einen Moment gedankenverloren inne, bevor er weitersprach: »Allerdings … nun, man kann einer wild entschlossenen Hermione einfach nichts entgegensetzen.« Man konnte erkennen, dass er diese Tatsache aus vollem Herzen und langjähriger eigener Erfahrung bekannte. Einen Augenblick lang erschien ein bedauernder Ausdruck auf Harrys Gesicht. »Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen …«
 
Madame Pomfrey lachte laut auf, Ginny kicherte hinter vorgehaltener Hand und selbst Minerva McGonagalls Mundwinkel hatten sich bei Harrys Schilderung leicht nach oben gezogen. Die sonst so strenge Hexe war insgeheim froh darüber, dass Severus hier jemanden gefunden zu haben schien, der ihm im positiven Sinn die Stirn bot. Sie wusste aus langjährigem Erleben, dass Severus die Streitgespräche mit Albus immer genossen hatte und war sich heute sicher, dass er daraus in mancher Hinsicht wohl auch neue Kraft für seine Aufgabe geschöpft haben musste. >Vielleicht hat er nun in Miss Granger einen neuen Streitpartner gefunden. Sie ist ihm schließlich nicht nur intellektuell ebenbürtig, sondern besitzt auch den sprichwörtlichen Gryffindor-Mut, um sich ihm gegenüber zu behaupten und durchsetzen zu können<, dachte sie.
 
»Trotzdem möchte ich gern nach ihm sehen«, erklärte Poppy immer noch belustigt. »Vielleicht kann ich ihm auch noch ein paar weitere Informationen aus der Nase ziehen, wenn ich geschickt genug vorgehe«, meinte sie mit verschwörerischem Lächeln.
 
»Dann versuchen Sie Ihr Glück, Madame Pomfrey. Sie müssen die Treppe hinauf und dann ist es die dritte Tür rechts«, antwortete Harry grinsend.
 
Poppy drehte sich noch immer schmunzelnd herum und verließ das Wohnzimmer. Wie angegeben stieg sie die Treppe hinauf und klopfte an die dritte Tür rechts. Sowohl Hermione Granger als auch Severus Snape saßen in der Leseecke einer ziemlich großen Bibliothek am Tisch, jeder mit einem Buch vor sich und dem Zauberstab in der Hand. Poppy blickte sich im ersten Moment erstaunt um, da sie nicht damit gerechnet hatte, einen derartig großen Raum und vor allem nicht dermaßen stark beschädigte Bücher vorzufinden.
 
Beide wandten Poppy sofort ihre Aufmerksamkeit zu. Über Hermiones Gesicht lief ein erfreutes Lächeln, als sie die unerwartete Besucherin erkannte, wohingegen Severus Snape wie üblich keine sichtbare Reaktion zeigte, abgesehen davon, dass er sich in seinem Sessel zurücklehnte und sie mit hochgezogener Braue betrachtete. Da Hermione vermutete, dass Poppy Pomfrey sich selbst ein Bild über Severus’ Fortschritte machen wollte, stand sie auf und verließ unaufgefordert die Bibliothek, jedoch nicht, ohne Madame Pomfrey zuzunicken und ihr ein leises »Er weiß es.« zuzuraunen …
 
*'*'*'*'*
 
Professor McGonagall hatte sich gerade mit ihrer Teetasse — Kreacher hatte vor ein paar Minuten sichtlich in Eile frisch aufgebrühten Tee serviert — bequem in ihrem Sessel zurückgelehnt, als erneut das laute Scheppern des Türklopfers zu vernehmen war. Kurze Zeit später war in der Eingangshalle ein Gewirr aus Stimmen auszumachen, das sich auf das Wohnzimmer zu bewegte. Die Tür wurde geöffnet und die fast komplette Familie Weasley ergoss sich in das Wohnzimmer.
 
Rons Blicke flogen bei seinem Eintritt hin und her, als ob er nach einer bestimmten Person suchen würde. Kurzzeitig entspannte er sich, nachdem er feststellen konnte, dass diese bewusste Person sich nicht in diesem Raum befand, verkrampfte sich jedoch sofort wieder nervös, als seine Mutter augenblicklich zu Harry hinüberstürzte und auf ihn einzureden begann.
 
»Harry!!! Wir haben es zuhause nicht mehr ausgehalten«, sprudelte Mrs. Weasley beinahe atemlos drauflos, kaum dass sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. »Sag’ uns, dass es nicht wahr ist, Harry — nicht wahr sein kann! Ron war extrem aufgebracht, als er uns davon erzählte, dass Hermione Severus’ Leben mit irgendeinem Zauber gerettet haben soll. Wahrscheinlich hat er in seiner Wut irgendetwas missverstanden, denn Hermione würde sich sicherlich niemals an irgendeinen Zauber gewagt haben, dessen Auswirkungen sie nicht wirklich abschätzen konnte. Sie kann einfach keine solche Dummheit begangen haben, denn schließlich ist sie doch sonst eine so clevere Hexe.
 
Es ist ja gut und schön, dass Severus am Leben ist — ich habe ja auch gar nichts dagegen, ganz im Gegenteil, nach allem, was ich jetzt weiß, bin ich heilfroh darüber — aber ich bin mir absolut sicher, dass alles nur eine Verkettung von seltsamen Umständen gewesen sein kann. Ron muss da irgendetwas durcheinander gebracht haben … oder???« Sie hatte Harry von der Couch hochgezogen, ihn in eine feste Umarmung gezwängt und schaute ihn nun so hoffnungsvoll an, dass Harry sich unter ihrem Blick wand, um sie nicht ansehen zu müssen.
 
Flashback
 
Harry hatte auf der Suche nach Gesellschaft in der Küche sowohl Hermiones als auch Kreachers leise Stimmen gehört. Er hatte eine sehr nachdenkliche Hermione am Tisch vorgefunden, die — wie konnte es anders sein —einen aufgeschlagenen dicken Wälzer vor sich liegen hatte. Sie hatte ihm unter Tränen berichtet, was sie mit Hilfe von Professor Snape herausgefunden hatte und ihm dann das Buch hinübergeschoben.
 
Nachdem Harry den Kopf wieder gehoben hatte, konnte er seine tiefe Erschütterung über die beschriebenen — höchstwahrscheinlich sehr negativen — Auswirkungen des Zauberspruches nicht verbergen, doch wirklich zu Herzen gegangen war ihm eine Aussage, die Hermione im Verlaufe ihrer Erzählung entschlüpft war: ‘Er hat wirklich geglaubt, dass ich dazu fähig wäre, meine über ihn durch den Zauber bestehende Macht gegen ihn zu verwenden und ihn genauso zu knechten, wie Voldemort und oftmals auch Dumbledore es über all die Jahre getan haben. Es tat so weh!’ Er hatte den Schmerz in ihren Augen kaum verkraften können. ‘Weißt du, Harry, es tat so weh, begreifen zu müssen, wie wenig Vertrauen er in Menschen hat — wie sehr man in der Vergangenheit sein Vertrauen missbraucht haben muss — seine Verletzbarkeit zu sehen und seine Angst, obwohl er mit aller Gewalt versucht hat, diese zu verbergen, und nichts dagegen tun zu können, außer ihm mit Worten zu versichern, dass er nichts zu befürchten hat.’
 
Erst in diesem Moment war Harry klar geworden, dass Hermione wohl für ein paar Augenblicke die einzigartige Gelegenheit gehabt haben musste, hinter die normalerweise undurchschaubare Maske des gefürchteten Ex-Todessers und Ex-Spions Severus Snape zu sehen. Er spürte, wie ihn tief in seinem Herzen ein Gefühl von Neid auf Hermiones Erfahrung überkommen wollte, Neid, der nichts damit zu tun hatte, dass er eine wie auch immer geartete Neugier nicht befriedigen konnte, sondern der sich in sein Herz schlich, weil er sich in diesem Moment bewusst wurde, dass er selbst niemals die Chance dazu bekommen würde, hinter diese Maske blicken zu dürfen. Harry hatte Severus Snapes Erinnerungen gesehen und erst jetzt, als er hier saß und den niedergeschlagenen Ausdruck auf dem Gesicht seiner besten Freundin sah, war ihm klar geworden, dass Severus Snape noch viel mehr Erinnerungen besitzen musste — Erinnerungen an Lily … an seine Mutter, die Harry nie kennengelernt hatte. In diesem Augenblick wünschte sich Harry nichts mehr, als einmal die Möglichkeit zu bekommen, ihm Fragen stellen zu dürfen.
 
Hermione hatte die Augen niedergeschlagen, ihre Wangen waren gerötet und ihre Hände zitterten leicht, was Harry tief in seinem Inneren mit dem unbestimmten und durch nichts zu belegenden Gefühl zurückließ, dass seine beste Freundin ihm vielleicht doch nicht alles erzählt hatte.
 
Flashback Ende
 
Es kostete ihn enorme Anstrengung, wieder in die Gegenwart zurückzukehren. Inzwischen hatte sich die volle Aufmerksamkeit aller Weasleys auf ihn gerichtet, was er nur mit Mühe ertragen konnte. Auf ihren Gesichtern konnte er die Anspannung, aber auch die Hoffnung ablesen, dass all das, was Ron erzählt hatte, nur auf einem Irrtum beruhen würde, dass ihr Sohn und Bruder maßlos übertrieben hatte. Harry schluckte hart.
 
Die Weasley-Familie war für Harry die einzige wirkliche Familie, die er je gehabt hatte. Mrs. Weasley hatte ihn schon in den ersten Sommerferien ohne zu zögern wie ein eigenes Kind bei sich aufgenommen. Ausgerechnet dieser Frau erklären zu müssen, dass Ron zwar vielleicht nicht das volle Ausmaß des Zauberspruches begriffen haben mochte, jedoch mit seinen Befürchtungen ohne es zu wissen noch weit untertrieben hatte, fiel ihm nicht gerade leicht.
 
Es war alles nur seine Schuld! Wenn er doch bloß Hermiones Bedenken und Ängste ernst genommen hätte! Als Konsequenz seiner eigenen Naivität waren nun ebenfalls alle Weasleys über Hermiones Entscheidung in der Heulenden Hütte informiert, etwas, von dem Hermione sich gewünscht hatte, dass dies nie geschehen sollte. Hätte er doch bloß nicht darauf bestanden, dass es besser wäre, wenn sie Ron in ihr Geheimnis einweihen würde. Dann wäre auch Ron niemals in die Lage geraten, ihrer beider Vertrauen zu missbrauchen. Denn das hatte er zweifellos. >Merlin, wie konnte ich nur so vertrauensselig sein?!<
 
Harry war sich in diesem Moment nur über eines ganz sicher: Dass er nichts über die neuen Erkenntnisse, die Hermione aus dem Buch gewonnen hatte, an die Weasleys weitergeben würde. Schließlich hatte er schon einmal in dieser Hinsicht die falsche Entscheidung getroffen, wie er jetzt wusste.
 
Das Schweigen schien sich selbst in den Augen der Weasleys endlos auszudehnen. »Harry, nun sag’ doch …«, bat Mrs. Weasley drängend.
 
»Es tut mir leid, Mrs. Weasley, aber Ron hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Hermione musste einen Zauberspruch benutzen, um Professor Snape das Leben zu retten. Allerdings weiß ich auch nicht mehr als das, was Ihnen Ron bereits erzählt hat«, antwortete er ausweichend, nachdem er sich dazu durchgerungen hatte, überhaupt über Hermiones Handlungen zu sprechen.
 
Doch Mrs. Weasley wollte sich damit nicht abspeisen lassen. »Harry, ich weiß, dass du Hermione nur schützen willst, aber ich denke, wir haben ein Recht darauf zu erfahren, was es mit dem Zauber wirklich auf sich hat. Schließlich wird Hermione in nicht allzu langer Zeit als Rons Ehefrau richtig zu unserer Familie gehören, und ich möchte wissen, ob sich daraus irgendwelche Probleme ergeben könnten.«
 
Harry straffte unbewusst die Schultern und sah Mrs. Weasley fest an. »Ich muss Hermione nicht schützen, denn sie hat nichts getan, was in irgendeiner Form verwerflich wäre. Ganz im Gegenteil, ich stehe tief in ihrer Schuld dafür, dass sie diesen Zauberspruch gelernt hat, obwohl sie davon ausgehen musste, dass er von Dunkler Magie geprägt ist.«
 
Rons Mutter zog fragend eine Augenbraue nach oben. »Aber, Harry, wieso …«
 
Doch Harry unterbrach sie abrupt. »Sie hat es für mich getan, um im Notfall mein Leben retten zu können, wenn es überhaupt keinen anderen Ausweg mehr geben sollte. Damit ich die Prophezeiung erfüllen kann! Damit ich Voldemort vernichten kann!« Seine Stimme war lauter und lauter geworden und sein Gesicht zeigte nun die Frustration, die er fühlte, weil er seine beste Freundin wegen etwas verteidigen musste, für das er einfach nur dankbar war.
 
Die Weasleys starrten ihn vollkommen sprachlos an und Harry nutzte die Gelegenheit um weiterzusprechen. »Als Hermione vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens stand, einen Menschen sterben zu lassen, nur weil sie nicht genug Mut aufbringen würde, um einen Zauberspruch einzusetzen, dessen Auswirkungen sie nicht genau einschätzen konnte, oder zu versuchen, diesen Menschen mit genau diesem Zauber zu retten, tat sie das einzig Richtige. Sie war sich von Anfang an bewusst, dass sie dafür von den meisten Menschen keinen Dank erwarten konnte, sondern zusätzlich zu ihrer eigenen Situation, weil sie bereits wegen ihrer Muggel-Abstammung von vielen Hexen und Zauberern dieser Welt abgelehnt wurde, um so mehr Anfeindungen ausgesetzt sein würde, da dieser Mann in der magischen Welt gefürchtet, wenn nicht gar verhasst war. Aber sie nahm das alles auf sich, entschied, dass seine Widersacher auch ihre Widersacher sein würden, dass Severus Snape eine Zukunft haben sollte.«
 
Er sah aus dem Augenwinkel, wie Ginny aufstand und zu ihm herüberkam. Gleich darauf spürte er, wie sich ihre Hand fest um seine legte. Sie standen nebeneinander wie ein einziges Bollwerk.
 
Harry schaute um sich herum in fassungslose Gesichter. Keiner der Weasleys hatte einen solchen Hintergrund für Hermiones Handlungen erwartet, so dass sie Harry nun betroffen anstarrten. Dagegen war in den Zügen von Professor McGonagall ehrliche Überraschung zu erkennen, da sie als Einzige in diesem Raum bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Ahnung von den Ereignissen in der Heulenden Hütte gehabt hatte. Um die sonst so streng zusammengekniffenen Lippen der alten Professorin begann ein kaum wahrnehmbares wohlwollendes Lächeln zu spielen und Harry sah ein verstehendes Nicken. »Langsam beginne ich zu begreifen«, murmelte sie leise vor sich hin, so dass nur Ginny und er sie hören konnten.
 
»Nach all dem, was ich in den letzten Tagen erfahren und gelernt habe, bin ich dankbar dafür, dass er überlebt hat. Vielleicht werden wir niemals wirkliche Freunde werden — ich vermute, es ist verdammt schwer, seine Freundschaft oder gar sein Vertrauen zu gewinnen — aber er besitzt meinen tiefen Respekt und auch … meine Sympathie. Das, was ich im Klitterer gesagt habe, ist meine ehrliche Überzeugung. Jedes Wort davon war ernst gemeint. Und ich kann nur sagen, ich für meinen Teil bin unglaublich stolz auf Hermione.«
 
Ein langes betretenes Schweigen folgte diesen Worten und es dauerte lange, bis die Matronin der Weasleys ihre Sprache wiederfand. »Oh, Harry, keiner von uns hat irgendetwas davon auch nur geahnt. Ron hat uns nichts über die Hintergründe erzählt. Die arme Hermione! Wie muss sie sich dabei gefühlt haben. Ron!!!« Mrs. Weasley drehte sich anklagend zu ihrem Sohn herum. »Warum hast du uns nicht erzählt, warum sie diesen Zauberspruch gelernt hat?« Ein missbilligender Blick traf Ron, dessen Gesichtsfarbe sich daraufhin bis zum Haaransatz in ein dunkles Rot verwandelte, was sich unzweifelhaft mit seiner Haarfarbe biss.
 
Doch Ginny war all das noch nicht genug. Sie hatte solch eine Wut auf Ron entwickelt, dass sie sich nicht mehr zurückhalten konnte. »Ach ja, und unser liebes Ronnilein ist ja auch sooo unschuldig! Was meinst du, Ron, wenn ich Mum und Dad ‘mal erzähle, was du danach mit Hermione veranstaltet hast?«
 
Ron hatte sich, seitdem er hereingekommen war, nicht mehr bewegt und stand immer noch mit dem Rücken fest an die geschlossene Wohnzimmertür gepresst. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und vermittelte den nicht zu übersehenden Eindruck, als ob er sich am liebsten im nächstgelegenen Mauseloch verkriechen wolle. Voller Schuldbewusstsein senkte er die Augen, was nicht nur Harry bemerkte.
 
Es war das erste Mal, dass Mr. Weasley sich einmischte. Sein »Wir werden das zuhause klären!« stand wie eine Drohung im Raum.
 
Harry konnte erkennen, welche Angst Ron davor hatte, dass Harry seinen Eltern erzählen würde, wie er sich Hermione gegenüber verhalten hatte. Doch nun hatte Ginny sich nicht nur auf Harrys Seite gestellt, sondern ergriff auch noch Partei für Hermione. Sie wusste, dass ihre Mutter, die Hermione immer noch als ihre Schwiegertochter in spé betrachtete, sicherlich keinerlei Verständnis dafür hätte, wie Ron auf Hermiones Bekenntnis reagiert hatte, schon gar nicht, wenn sie erfahren würde, dass Ron in seiner Wut die Grenzen sowohl hinsichtlich seiner Wortwahl als auch zu körperlicher Gewalt überschritten hatte. Keiner der Weasleys würde verstehen können, wie Ron zu einer Einstellung gegenüber Muggelgeborenen kam, die in seiner reinblütigen Familie völlig unbekannt war.
 
Doch Harry hatte sich entschieden, nichts darüber zu sagen, weil er immer noch hoffte, dass es sich zwischen den beiden wieder einrenken würde, dass sein bester Freund und seine beste Freundin einen Weg finden würden, ihre Differenzen zu bereinigen. Auch wenn es nur noch eine sehr schwache Hoffnung war …
 
Das war auch der Grund, warum er Ginny nun zurückhielt. »Gin, ich glaube, darüber sollten sich deine Eltern und Ron im ‘Safehouse’ unterhalten. Das gehört nicht in die Öffentlichkeit, nicht einmal in so kleinem Kreis.«
 
Ginny starrte ihren Bruder noch einmal böse an, bevor sie widerstrebend nickte. Mrs. Weasley blickte stumm zwischen ihrer einzigen Tochter und ihrem jüngsten Sohn hin und her, bevor ihr dämmerte, dass sich zwischen Ron und Hermione mehr abgespielt haben musste, als Ron von sich aus erzählt hatte. »Was hast du uns sonst noch verschwiegen?«
 
»Mum …«
 
Doch Mrs. Weasley hatte genug. »Komm du mir nach Hause!!!«, drohte sie.
 
Völlig unerwartet wandte sich plötzlich Professor McGonagall ihnen allen zu. »Ich denke, ich spreche auch im Namen von Professor Snape und Miss Granger, wenn ich Sie alle darum bitte, über die näheren Umstände, die zu seiner Rettung geführt haben, zu schweigen, auch gegenüber den anderen Ordensmitgliedern. Abgesehen davon wäre ich dankbar dafür, wenn am Anfang der Zusammenkunft nicht erwähnt wird, dass Severus am Leben ist. Ich habe Poppy Pomfrey gebeten, sich eine Weile bereit zu halten, obwohl ich inständig hoffe, dass es zu keiner Auseinandersetzung innerhalb des Ordens über Professor Snape kommt.«
 
»Sie erwarten, dass jemand …«
 
»Ich … weiß es nicht, Mr. Potter.« Minerva McGonagall seufzte schwer. »Ich möchte Ihnen gegenüber ehrlich sein: Ich weiß nicht, wieviel Hass bei den anderen Ordensmitgliedern nach Ihrem Interview im Klitterer noch verblieben ist. Ich vermute, es ist trotzdem bei manch Einem noch eine ganze Menge.«
 
»Aber er …«
 
Professor McGonagall sah Harry traurig an. »So sehr ich mir wüschen würde, dass es anders wäre, Severus hat sich in all diesen Jahren sehr viele Feinde gemacht. Und er hat Albus Dumbledore getötet, auch wenn dies — nach Ihrer Aussage, Mister Potter — auf Albus’ eigenen Wunsch geschah. Wir können nur hoffen.« Sie klang müde und deprimiert. »Mr. Potter, mir ist bewusst, dass weder Sie noch Miss Granger bzw. Mr. Ron Weasley Mitglieder des Ordens des Phönix sind. Trotzdem möchte ich Sie alle Drei bitten, ab sofort an den Ordenstreffen teilzunehmen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie bitten, Miss Granger Bescheid zu geben.«
 
Harry nickte gedankenverloren.
 
*'*'*'*'*
 
Hermione hatte sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen und sich auf das Bett gelegt, wo sich Krummbein sofort eng an sie herankuschelte. Gedankenverloren begann sie, mit ihrer Hand durch das weiche Fell des Halb-Kneazles zu wühlen, was dieser ihr mit einem lauten Schnurren dankte. Jetzt, nach der Ankunft von Madame Pomfrey, brauchte sie ein paar Minuten Zeit für sich selbst zum Nachdenken. Sie lag auf dem Rücken und starrte an die Decke, ohne wirklich etwas zu sehen.
 
In den letzten Tagen hatte sie bereits mehrfach lange und intensiv nachgedacht. Einerseits über diesen für sie beide so unerwarteten impulsiven Kuss, allerdings aber auch — und gerade das ganz besonders häufig — über ihre veränderten Gefühle gegenüber Severus Snape und Ron.
 
Rons Ausbruch hatte sie zutiefst erschreckt und am Ende hilflos und erschüttert zurückgelassen. Obwohl sie insgeheim mit Vielem gerechnet hatte, hätte sie sich nicht einmal in ihren schrecklichsten Alpträumen vorstellen können, dass er derartig aggressiv reagieren würde. Auch wenn die Reaktion in Wirklichkeit wohl auch durch Eifersucht auf ihre magischen Fertigkeiten und auf die Achtung, die ihr von den Professoren entgegengebracht wurde, ausgelöst worden war, die sich über viele Jahre in ihm aufgestaut haben musste, war das Ausmaß seiner Explosion nicht absehbar gewesen.
 
Rons Wutausbruch hatte in ihr eine tiefe Kluft zwischen ihnen aufgerissen, von der sie nicht wusste, ob sie sie jemals wieder komplett würde schließen können, auch wenn sie es noch so sehr versuchen würde. Zu tief bohrte immer noch der vergiftete Stachel seiner Worte in ihren Wunden und die Verletzungen, die er ihr durch sein Verhalten in der Vergangenheit zugefügt hatte, waren nur oberflächlich verheilt. Ohne daran auch nur den geringsten Gedanken zu verschwenden, hatte er genau diese äußerlich verheilten Wunden wieder aufgerissen und weitere hinzugefügt. Selbst wenn sie ihm irgendwann wieder unbefangener und ohne ein beklemmendes Gefühl in ihrem Magen gegenübertreten könnte, würde trotzdem auf jeden Fall ein bitterer Nachgeschmack zurückbleiben. Ihr Freund aus der Schulzeit hatte plötzlich ein anderes Gesicht gezeigt; ein Gesicht, das einer Fratze ähnelte.
 
Doch da war etwas, an das Hermione sich immer wieder erinnern musste, das sie dessen ungeachtet zögern, was sie ihr zukünftiges Verhalten gegenüber Ron immer wieder überdenken ließ und das wie eine dunkle Wolke in ihrem Kopf schwebte: Lily Evans hatte Severus aufgrund eines einzigen — noch dazu in hochgradiger Erregung ausgesprochenen — bösartigen Wortes verurteilt und fallengelassen. Hermione hatte Angst davor, denselben Fehler bei Ron zu begehen. Sie hatte gesehen, wie ein einziger im Zorn begangener Fehler ein ganzes Leben zum Negativen hin verändern konnte. Severus Snape war ein warnendes Beispiel.
 
Seit Hermione endlich die vielen kleinen Mosaiksteine aus der Vergangenheit hatte zusammensetzen können — obwohl sie überzeugt davon war, dass immer noch Teile fehlten — ließ ihr die rigorose Ablehnung, die Severus nach seiner Verfehlung erfahren musste, bei jedem Gedanken daran erneut einen kalten Schauer den Rücken hinunterlaufen. Sie konnte nicht verstehen, wie Lily Evans ihren langjährigen Freund aus Kindertagen dermaßen erbarmungslos von sich wegstoßen konnte, ohne jegliche Chance auf irgendeine Aussprache, geschweige denn eine Versöhnung. Hermione war sich selbst gegenüber nicht in der Lage zu verleugnen, dass sie seitdem einen tiefen Groll gegen Lily Evans hegte, gegen deren unversöhnliche Hartherzigkeit, auch wenn sie zu Harry nicht einmal eine vorsichtige Andeutung darüber machen würde, um ihn nicht zu verletzen. Severus Snape und viele Unbeteiligte hatten für seinen und ihren Fehler schwer gebüßt, mehr als zwanzig Jahre lang. Der sprichwörtliche Schneeball hatte eine Lawine ausgelöst.
 
Severus ...
 
Noch immer glaubte sie, seine Lippen sanft auf den ihrigen zu spüren. Sie wusste, dass sie nicht allzu viel in diesen Kuss hineininterpretieren sollte, doch etwas zu wissen und sich auch daran zu halten, waren zwei unterschiedliche Paar Schuh. Ohne dass sie sich dagegen wehren konnte, verglich sie immer wieder diesen Kuss mit jenen, die sie mit Ron getauscht hatte. Welch ein Unterschied. Sie konnte nicht bestreiten, dass der Kuss ihr gefallen hatte. Ehrlich gesagt, wollte sie dies auch nicht.
 
Und doch war da noch viel mehr.
 
Ihre Gefühle Professor Snape gegenüber hatten sich innerhalb nicht ganz einer Woche dramatisch verändert. Sie hatte ihm als ihrem Professor immer den Respekt entgegengebracht, der ihm zustand, und eine tiefe Bewunderung für seine Fähigkeiten beim Brauen von Zaubertränken entwickelt, auch wenn sie den Menschen hinter dem Professor in ihren ersten Schuljahren gefürchtet hatte. Erst nach Voldemorts Rückkehr — im Krankenflügel nach dem Trimagischen Turnier — hatte sich zu diesem Respekt auch eine enorme Hochachtung gesellt, als sie zu erahnen begann, welche Risiken Severus Snape freiwillig einzugehen bereit war. Damals hatte sie auch ihre Angst vor dem Menschen Snape verloren, hatte begonnen, ein Stückweit zu erahnen, was er hinter der Maske aus bedrohlicher undurchsichtiger Dunkelheit und beißendem Sarkasmus verbarg.
 
Und sie erinnerte sich auch an ihre Gedanken ein dreiviertel Jahr später. Harrys Beschreibungen von dem, was er während seiner Okklumentikstunde über Severus Snapes Kindheit im Denkarium gesehen hatte, hatten ihr — nachdem sie durch Vorhänge verborgen in ihrem Bett im Schlafsaal gelegen hatte — voller Mitleid die Tränen in die Augen getrieben. Für einen Augenblick hatte sie das unbändige Bedürfnis verspürt, den kleinen Jungen an der Hand zu nehmen, an sich zu ziehen und ihn fest zu umarmen, um ihn vor all dem Bösen in seiner Welt zu beschützen. Sie wusste jedoch auch, dass sie von dem damals schon lange erwachsenen kleinen Jungen im günstigsten Fall nur eine hochgezogene Augenbraue als Antwort erhalten hätte.
 
Hatte sie Professor Snape nach der Letzten Schlacht gerettet, weil sie es nicht ertragen konnte, noch einen weiteren Menschen im Namen des Lichts zu verlieren, so musste sie sich jetzt eingestehen, dass es inzwischen nicht mehr nur Verantwortungsbewusstsein und Gerechtigkeitssinn waren, die sie sich um seine Zukunft sorgen ließen. Inzwischen wollte sie aus ehrlicher Sympathie und irgendetwas tief in ihr, das sie noch nicht wirklich hatte definieren können, eine ungetrübte Zukunft für ihn. Ganz abgesehen davon, dass sie bisher auch keinen zielstrebigen Versuch unternommen hatte herauszufinden, was dieses ‘Irgendetwas’ war.
 
Doch Hermione hatte für einen Augenblick seine Hoffnungslosigkeit und seine Verletzbarkeit gesehen, Dinge, von denen sie nicht wusste, ob außer ihr in der Vergangenheit jemals irgendein anderer Mensch einen noch so kurzen flüchtigen Blick davon hatte erhaschen können. Sie wagte dies zu bezweifeln. In seinen Augen hatte die nackte Angst gestanden, in eine neue Abhängigkeit zu geraten, zum dritten Mal in seinem Leben einem weiteren ‘Master’ dienen zu müssen. Dies alles hatte ihr auf eine erschreckende Weise gezeigt, wie wenig Vertrauen er zu Menschen hatte und wie oft dieses wenige Vertrauen missbraucht worden sein musste. Es hatte ihr beinahe körperliche Schmerzen zugefügt, ihn so zu sehen. In diesem Moment hatte sie erkennen müssen, dass sie dem mit Worten kaum etwas entgegensetzen konnte. Auch wenn der Kuss von ihm ausgegangen war, war er, aus seinem Gefühl heraus, die einzig logische Konsequenz gewesen.
 
Hermione seufzte leise. Langsam stand sie auf, strich ihren Pullover glatt und warf sich ihre Robe wieder über. Es wurde Zeit, sich auf das Ordenstreffen vorzubereiten. Sie selbst war zwar kein Mitglied des Phönixordens, aber sie war nicht bereit, den mit Sicherheit anstehenden Kampf allein Professor McGonagall zu überlassen. Und es gab keinen Zweifel daran, dass es zu einer zumindest verbalen Auseinandersetzung kommen würde.
 
Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Sie hoffte inständig, dass es innerhalb des Ordens nicht zu einem Machtkampf kommen würde. Falls sich diese Hoffnung jedoch zerschlagen sollte, würde sie wissen, auf welcher Seite sie kämpfen würde — und nicht nur sie. Auf alles vorbereitet, straffte sie die Schultern und machte sich auf den Weg nach unten.
 
 
 
Fortsetzung folgt …
 
 
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